Einleitung
Seit ich denken kann, tragen Worte für mich eine besondere Kraft in sich. Schreiben bedeutet für mich nicht nur das Festhalten von Gedanken – es ist ein Weg, mich selbst tiefer zu verstehen und anderen einen ehrlichen Einblick in meine Welt zu ermöglichen. Gerade als trans Frau habe ich oft erlebt, wie schwer es sein kann, die eigene Geschichte zu erzählen, wenn die Gesellschaft lieber fertige Schablonen anbietet. Dieser Blog ist mein Versuch, diesen vorgefertigten Bildern meine eigene Stimme entgegenzusetzen. Eine Stimme, die von Zweifeln, Mut, kleinen Erfolgen und großen Sehnsüchten erzählt.
Wenn ich schreibe, begebe ich mich auf eine Reise. Eine Reise, die mich nicht nur mit mir selbst, sondern auch mit dir als Leserin oder Leser verbindet. Denn Sichtbarkeit ist kein Selbstzweck. Sichtbarkeit bedeutet für mich, mich in meiner ganzen Komplexität zu zeigen – nicht perfekt, nicht glattgebügelt, sondern ehrlich und verletzlich. Schreiben wird damit zu einer Brücke: zwischen meiner Erfahrung als trans Frau und der Welt da draußen, die manchmal neugierig, manchmal vorsichtig und manchmal auch skeptisch auf Menschen wie mich blickt.
Warum Worte für mich Überleben bedeuten
Ich habe früh gelernt, dass ich anders bin. Aber ich hatte keine Sprache dafür. Keine Begriffe, keine Erklärungen, nur ein Gefühl der Fremdheit im eigenen Leben. In der Sprache fand ich zum ersten Mal etwas, das mir gehörte. Etwas, das ich formen konnte. Etwas, das nicht von außen definiert wurde. Schreiben wurde mein erster Schutzraum. Dort konnte ich sein, wer ich war – auch wenn ich diesen Menschen selbst noch nicht kannte.
Viele meiner ersten Texte waren unvollständig, chaotisch, bruchstückhaft. Aber sie waren ehrlich. Und ehrlich war mehr, als ich in meinem Alltag oft sein konnte. Schreiben bedeutete: Ich höre mir selbst zu. Ich nehme mich ernst. Ich bin real – auch dann, wenn andere mich nicht sehen wollen. Worte gaben mir Struktur, als mein Innenleben ein unordentliches Archiv aus Zweifeln, Ängsten und unerfüllter Sehnsucht war.
Schreiben wurde zu einem Überlebensmechanismus. Es war nicht nur Ausdruck, sondern Selbstrettung. Es half mir, all das zu formulieren, was ich nicht aussprechen konnte. In meinen eigenen Sätzen fand ich Halt – und irgendwann auch Hoffnung.
Was es wirklich bedeutet, trans zu sein
Trans zu sein bedeutet, dass mein inneres Wissen über mein Geschlecht nicht mit dem übereinstimmt, was mir bei der Geburt zugewiesen wurde. Das klingt in der Theorie einfach – ist aber in der Realität komplex, schmerzhaft und vielschichtig. Die Gesellschaft funktioniert in vielen Bereichen binär. Wer „weiblich“ oder „männlich“ ist, wird oft an Körpermerkmalen festgemacht. Doch Geschlecht ist mehr als Biologie. Es ist Identität, Erfahrung, Selbstbild und auch Beziehung zur Welt.
In meiner Transition habe ich gelernt, dass viele Menschen glauben, trans zu sein bedeute nur „im falschen Körper“ zu leben. Diese Vorstellung ist aber oft eine Vereinfachung. Denn es geht nicht nur um Körper. Es geht um Existenz. Um das Recht, benannt zu werden. Um das Recht, sich zu entfalten. Um das Recht, auch widersprüchlich zu sein.
Ich bin nicht trans, weil ich mich entschieden habe, eine Frau zu sein. Ich bin trans, weil ich nie ein Mann war – auch wenn mir dieses Geschlecht einst zugewiesen wurde. Das zu erkennen und auszusprechen war ein langer Weg. Und genau deshalb schreibe ich: um diese komplexen Realitäten greifbarer zu machen. Für andere – aber auch für mich.
Der lange Weg der Transition
Transition ist kein Ziel. Sie ist ein Weg. Und dieser Weg ist nicht linear, nicht geradlinig, nicht planbar. Er besteht aus Momenten des Zweifelns, des Hoffens, des Rückzugs, des Aufbruchs. Jede trans Person erlebt ihre Transition anders. Manche nehmen medizinische Schritte in Anspruch, andere nicht. Manche outen sich früh, andere spät. Alles ist legitim. Alles ist richtig – solange es dem eigenen inneren Kompass folgt.
Für mich war der Beginn meiner Transition ein stiller innerer Prozess. Ich begann, mir selbst zu glauben. Meinem Bauchgefühl zu vertrauen. Ich stellte mir Fragen: Wer bin ich, wenn niemand hinschaut? Wie möchte ich mich sehen? Was brauche ich, um ganz zu werden? Erst später kamen Hormone, der neue Name, die rechtlichen Änderungen. Doch die eigentliche Veränderung geschah in mir.
Transition ist nicht nur eine Veränderung der äußeren Merkmale. Sie ist eine tiefe Auseinandersetzung mit dem eigenen Sein. Mit Erinnerungen, die wehtun. Mit Ängsten, die lähmen. Mit Hoffnungen, die beflügeln. Ich habe in dieser Zeit gelernt, dass Heilung nicht bedeutet, alles wieder gut zu machen – sondern sich selbst in der Unvollkommenheit zu umarmen.
Sichtbarkeit als politischer und persönlicher Akt
Sichtbar zu sein heißt für mich nicht, perfekt oder stark zu erscheinen. Es heißt, mit allen Widersprüchen da zu sein – auch mit Unsicherheiten, mit Verletzlichkeit, mit Brüchen. Gerade in einer Gesellschaft, die trans Personen oft auf bestimmte Narrative reduziert – entweder als tragische Figuren oder als Erfolgsgeschichten – ist es wichtig, dass auch die Zwischentöne hörbar werden.
Meine Sichtbarkeit ist kein Marketing. Sie ist ein Statement. Ein lebendiger Widerspruch gegen die Vorstellung, dass nur das Normale zählt. Sie ist unbequem, weil sie Fragen aufwirft, die viele lieber nicht stellen wollen. Sie ist berührbar, weil sie echt ist.
Schreiben als Selbstermächtigung
Schreiben gibt mir die Möglichkeit, all diese Facetten meines Erlebens zu ordnen, zu hinterfragen und schließlich zu teilen. Es ist eine Form der Selbstbegegnung: ehrlich, fordernd, manchmal schmerzhaft – und doch immer heilsam. In Worten kann ich mich ausbreiten, ohne mich zu rechtfertigen. Ich kann Widersprüche stehen lassen und Unfertiges zulassen.
Wenn ich schreibe, nehme ich mir den Raum, den mir die Welt zu oft verweigert. Ich mache mich selbst sichtbar. Ich erzähle von einem Leben, das nicht normiert werden will. Und ich weiß: Jedes Wort kann ein Stück Freiheit sein – für mich und für andere.
Schreiben ist für mich auch ein Akt der Solidarität. Denn jede Geschichte, die ich erzähle, kann auch jemand anderem Mut machen, seine eigene Stimme zu erheben. Worte schaffen Verbindung – über Unterschiede hinweg. Und sie machen deutlich: Du bist nicht allein.
Die Magie ehrlicher Begegnungen
Wenn ich über Begegnungen schreibe, meine ich nicht nur Gespräche mit anderen Menschen. Ich meine auch die Begegnung mit mir selbst – mit Anteilen, die ich lange versteckt oder verdrängt habe. Sichtbarkeit beginnt oft dort, wo wir uns selbst ehrlich ansehen. Wo wir aufhören, Erwartungen anderer zu erfüllen, und anfangen, uns selbst zuzuhören.
Manche dieser Begegnungen waren tief bewegend. Ein Mensch, der meinen Namen respektiert. Eine Frau, die sagt: „Ich sehe dich.“ Ein Kollege, der zuhört, ohne zu urteilen. Diese Momente sind kostbar – und sie sind nicht selbstverständlich.
Begegnung ist für mich das Gegenteil von Urteil. Es ist ein offenes Dasein, ein ehrliches Zuhören, ein mutiges Fragen. Ich schreibe, um solche Räume zu schaffen. Räume, in denen Verletzlichkeit erlaubt ist. Und in denen Echtheit nicht als Schwäche, sondern als Stärke erkannt wird.
Transfeindlichkeit im Alltag
Transfeindlichkeit ist nicht nur ein Randphänomen. Sie zeigt sich im Alltag, in Sprache, in Blicken, in Gesetzen. Sie zeigt sich, wenn mein Name angezweifelt wird. Wenn meine Identität diskutiert wird, als wäre sie ein Thema unter vielen – und nicht mein Leben. Sie zeigt sich in den Momenten, in denen ich misgendered werde, in denen ich meine Geschichte rechtfertigen soll, in denen meine Sichtbarkeit zur Projektionsfläche wird.
Transfeindlichkeit ist oft subtil. Sie versteckt sich hinter vermeintlicher Neugier, hinter angeblicher Sorge um „biologische Fakten“, hinter einem „Darf man das noch sagen?“. Doch ihre Wirkung ist tiefgreifend. Sie verunsichert, isoliert, verletzt. Und sie zwingt mich immer wieder, meine Existenz zu erklären.
Deshalb schreibe ich auch gegen diese Form der Gewalt an. Ich benenne sie. Ich entlarve sie. Und ich zeige, dass trans Leben mehr ist als nur eine Reaktion auf Diskriminierung. Wir sind nicht nur Gegenentwürfe. Wir sind Menschen mit Geschichten, Träumen, Widersprüchen – genau wie alle anderen.
Was Medien erzählen – und was sie verschweigen
Wenn Medien über trans Menschen berichten, passiert das oft in Extremen. Entweder sind wir Held:innen, die alles überwunden haben – oder tragische Gestalten, die an sich selbst zerbrechen. Beides ist eindimensional. Und beides wird mir nicht gerecht.
Ich wünsche mir eine Berichterstattung, die uns nicht zur Story macht, sondern als Teil der Gesellschaft ernst nimmt. Ich wünsche mir Geschichten, in denen trans Menschen ganz normal sind – mit Alltag, Humor, Sorgen und Freuden. Nicht immer nur mit Erklärungsbedarf.
Schreiben gibt mir hier ein Gegengewicht. Ich bin nicht auf mediale Filter angewiesen. Ich erzähle selbst. Und ich tue das bewusst anders: mehrstimmig, nuanciert, lebendig. Nicht zur Unterhaltung – sondern zur Verbindung.
Community als Kraftquelle
In der queeren und trans Community habe ich zum ersten Mal erlebt, wie es sich anfühlt, nicht allein zu sein. Dort wurde ich nicht hinterfragt, sondern verstanden. Dort wurde mein Name nicht geprüft, sondern gefeiert. Dort durfte ich einfach sein.
Community bedeutet für mich: Halt, wenn alles wankt. Echo, wenn die eigene Stimme leise wird. Korrektiv, wenn ich mich verliere. Und Erinnerung daran, dass Selbstermächtigung nicht immer alleine geschieht – sondern im Miteinander wächst.
Gerade online sind Netzwerke entstanden, die mir helfen, mich zu orientieren. Ich habe gelernt, dass Sichtbarkeit nicht nur auf Bühnen stattfindet. Sie beginnt in Kommentaren, in privaten Nachrichten, in stillen Gesten gegenseitiger Anerkennung. Und genau deshalb schreibe ich auch: um Teil dieser lebendigen Bewegung zu sein, die neue Realitäten schafft.
Allianzen und Verbündete – Warum echte Solidarität mehr ist als Zustimmung
Verbündete zu haben ist ein Geschenk. Aber es ist auch ein Prozess. Nicht jede Zustimmung ist automatisch Solidarität. Echte Verbündetenschaft bedeutet: zuhören, mitlernen, reflektieren, Verantwortung übernehmen. Auch dann, wenn es unbequem wird.
Ich habe erlebt, wie kostbar es ist, wenn cis Menschen nicht nur sagen „Ich akzeptiere dich“, sondern sich auch dafür einsetzen, dass Strukturen sich verändern. Wenn sie ihre Privilegien hinterfragen. Wenn sie Räume öffnen, ohne sich in den Mittelpunkt zu stellen.
Schreiben hilft mir auch, diesen Dialog zu führen – respektvoll, ehrlich, manchmal konfrontativ. Denn ich glaube an Veränderung. Und ich glaube daran, dass Worte der Anfang sein können. Nicht die Lösung – aber der erste Schritt.
Mein Schreiben im Alltag: Prozesse, Rituale, Themenfindung
Schreiben ist für mich mehr als ein kreativer Akt. Es ist ein Ritual, ein innerer Dialog, eine Form der Selbstfürsorge. Ich schreibe oft früh am Morgen – wenn alles noch still ist, die Welt draußen sich noch nicht eingemischt hat. Mein Notizbuch ist mein Begleiter. Darin sammele ich Gesprächsfetzen, Gedankenblitze, Zitate, Gefühle, Szenen aus dem Alltag.
Die Themen finde ich nicht – sie finden mich. In Begegnungen. In Konflikten. In Momenten des Innehaltens. Oft schreibe ich über Dinge, die mir selbst noch nicht ganz klar sind. Und während ich schreibe, klärt sich etwas. Oder wird zumindest spürbarer.
Ich schreibe langsam. Ich schreibe ehrlich. Ich überarbeite viel. Aber ich zensiere nicht. Mein Anspruch ist nicht Perfektion – sondern Echtheit. Und ich weiß: Jede Zeile, die jemand berührt, war das Schreiben wert.
Zwischen Zweifel und Stolz: Der Alltag einer trans Frau
Ich werde oft gefragt, wie mein Alltag aussieht. Und manchmal weiß ich nicht, wie ich antworten soll. Denn es gibt nicht den einen Alltag. Es gibt viele Versionen davon. Es gibt die Tage, an denen alles fließt. Und die, an denen jede Geste zur Herausforderung wird.
Ich bin stolz auf das, was ich mir aufgebaut habe. Und doch kenne ich den Zweifel gut. Die Angst, nicht genug zu sein. Die Sorge, gesehen zu werden – oder gerade nicht. Der Versuch, einfach zu leben, während im Hintergrund ständig gesellschaftliche Debatten toben, die mich betreffen, aber selten mit mir geführt werden.
Und genau dazwischen lebe ich: zwischen Stolz und Zweifel. Zwischen Hoffnung und Müdigkeit. Zwischen Sichtbarkeit und Sehnsucht nach Ruhe. Das ist keine Schwäche. Das ist Leben.
Was ich mir für die Zukunft wünsche – persönlich und gesellschaftlich
Ich wünsche mir eine Welt, in der trans Menschen nicht mehr nur durch ihre Transition definiert werden. Eine Welt, in der Vielfalt nicht erklärt, sondern anerkannt wird. Eine Welt, in der ich nicht mutig sein muss, um zu überleben – sondern einfach sein darf.
Persönlich wünsche ich mir weiterhin Räume, in denen ich wachsen kann. Ich wünsche mir Liebe, in der ich nicht mehr verhandeln muss. Ich wünsche mir, dass mein Schreiben Menschen berührt – und vielleicht etwas in Bewegung setzt.
Ich glaube an Veränderung. Und ich glaube an die Kraft des Erzählens. Deshalb schreibe ich weiter. Für mich. Für dich. Für uns alle.
Ein persönliches Fazit
Mein Schreiben ist kein Lehrbuch, kein Manifest und keine perfekte Erfolgsgeschichte. Es ist ein lebendiger Prozess, voller Umwege und Entdeckungen. Als trans Frau lerne ich jeden Tag neu, meinen Platz in der Welt einzunehmen. Manchmal laut, manchmal leise – aber immer mit offenem Herzen.
Wenn du diesen Weg ein Stück weit mit mir gehst, dann freue ich mich sehr. Denn jede Begegnung, jeder geteilte Gedanke macht die Welt ein wenig heller. Und vielleicht entdecken wir gemeinsam, dass die Geschichten, die uns wirklich bewegen, immer jene sind, die den Mut haben, unvollkommen zu sein.
Willkommen in meiner Welt der Begegnungen. Schön, dass du da bist.
🧾 Glossar
Trans
Kurzform für „transgeschlechtlich“. Bezeichnet Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Mehr unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Transgeschlechtlichkeit
Transition
Der individuelle Prozess, mit dem trans Personen ihre Geschlechtsidentität sichtbar machen – sozial, medizinisch, juristisch oder emotional. Jeder Weg ist individuell. Infos z. B. unter: https://www.bundesverband-trans.de/wissen/transition/
Misgendern
Das absichtliche oder unbeabsichtigte Verwenden eines falschen Pronomens oder Geschlechtsnamens gegenüber einer Person, oft verletzend. Mehr dazu unter: https://www.queerlexikon.net/wiki/misgendern/
Cis
Abkürzung für „cisgeschlechtlich“: Menschen, deren Geschlechtsidentität dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht entspricht. Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Cisgender
Non-binär
Oberbegriff für Geschlechtsidentitäten außerhalb des zweigeschlechtlichen (binären) Modells von „Mann“ oder „Frau“. Definition: https://www.lsvd.de/de/ct/1710-Non-Binaer
Gendern / geschlechtergerechte Sprache
Sprachliche Formen, die alle Geschlechter sichtbar machen. Z. B. durch Genderstern („Leser*innen“). Infos: https://www.genderleicht.de/
Sichtbarkeit
Das öffentliche Auftreten oder Wahrgenommenwerden von marginalisierten Identitäten – oft als politischer und persönlicher Akt verstanden.