Teil 1 – Ein Foto, das mich sprachlos machte
Ich gebe es offen zu: Als ich zum ersten Mal ein Bild von mir als Actionfigur gesehen habe – in einer dieser typischen Blisterverpackungen mit Zubehör und liebevoll ironischem Titel – musste ich lachen. Und dann weinen. Und dann lachen und weinen gleichzeitig, so wie ich das manchmal mache, wenn etwas in mir eine tiefere Seite berührt.
Es war ein Bild, das so viel mehr war als nur eine KI-Spielerei. Es zeigte mich, wie ich bin – oder sein könnte, oder vielleicht manchmal sein möchte: als „Executive Boss“, als „Relaxed Woman“, als „Healing Hero“. Nicht als Witzfigur. Nicht als Parodie. Sondern als starke, runde, elegante, verletzliche, kämpferische Frau mit Haltung, Stil – und einem verdammt gut platzierten O-Ring um den Hals.
Und das alles in einer Verpackung, wie sie sonst Superheld*innen, Cartoon-Charaktere oder Filmlegenden vorbehalten ist.
Ein Trend aus dem Nichts – oder doch nicht?
Ich fing an zu recherchieren. Und was ich fand, ließ mich staunen:
Seit dem Frühjahr 2025 fluten auf Instagram, TikTok und Reddit Bilder von Menschen, die sich selbst als Actionfiguren darstellen. Die Idee ist so einfach wie genial: Du beschreibst dich – oder eine Version deiner selbst – in all ihren Details. Du gibst der KI ein paar Eckdaten, vielleicht sogar ein Foto. Und heraus kommt ein Bild, das aussieht wie eine liebevoll gestaltete Verpackung aus einem Spielzeugladen für Erwachsene mit Selbstironie.
„Executive Boss – mit Laptop, Organizer, Coffee-to-go und messerscharfem Blick!“
„Catmom – inklusive Wollknäuel, Leckerlis und Fell auf dem Pulli!“
„Midnight Enchantress – limitiert, geheimnisvoll, mit Kristallkugel und dunklem Samtkleid!“
Ich bin nicht allein mit dieser Faszination. Die Welle ist längst global. Was als Gag begann – inspiriert vom Hype rund um AI-Porträts im Ghibli-Stil – hat sich verselbstständigt. Nach rechtlichen Streitigkeiten um Urheberrechte verlagerten sich viele Nutzer*innen auf Actionfiguren als kreative Ausdrucksform. Und das Ergebnis ist nichts weniger als ein Kaleidoskop menschlicher Selbstbilder.
Warum das ausgerechnet mich so trifft
Ich bin trans. Ich bin Plus-Size. Ich bin 45 Jahre alt. Ich bin nicht das, was klassische Actionfiguren zeigen. Und genau deshalb hat mich dieser Trend so tief berührt.
Denn plötzlich konnte ich mich in genau diesen Rollen zeigen, in denen ich mich selbst sehe: als Heldin meines Alltags, als zärtliche Geliebte, als feministische Rebellin, als geerdete Moderatorin meiner eigenen Geschichte. Nicht als Spielzeug – sondern als Erzählung.
Mit meinen langen schwarzen Haaren, meiner kurvigen Figur, meiner Haltung. Mit meinem Signature-Halsband, das mir im BDSM genau so viel bedeutet wie als Ausdruck meiner Identität. Mit meiner Brille, die nicht kaschiert, sondern betont.
Jede dieser Figuren war ein Blick auf mich – aber in einer Form, die ich selbst gestalten durfte. Nicht fremdbestimmt, nicht in Rollen gezwungen. Und auch nicht reduziert auf Klischees.
Sondern: Ich. Sarah. In allen meinen Farben.
Ein Tool zur Sichtbarkeit – und zur Selbstermächtigung
Was mich an diesen KI-Boxen so begeistert, ist nicht nur der Humor oder die Ästhetik – es ist die Möglichkeit, sichtbar zu sein. Und zwar auf eine Weise, die mir gehört. Ich bestimme, wie ich aussehe. Welche Accessoires meine Geschichte erzählen. Welche Stimmung mein Gesicht trägt.
Das ist für viele Menschen, die sonst im Mainstream unsichtbar sind, ein Gamechanger. Für queere Menschen. Für dicke Menschen. Für neurodivergente Menschen. Für solche mit Behinderungen, mit Narben, mit Geschichte.
Diese Figuren zeigen: Wir sind da. Wir sind real. Und wir sind nicht weniger sammelwürdig als Superhelden aus Comics oder Stars aus Hollywood.
Teil 2 – Was in der Schachtel steckt: Identität, Ironie und eine Prise Magie
Mehr als nur Plastik
Ich weiß, was du jetzt vielleicht denkst: „Das sind doch nur Bilder. KI-Gimmicks. Digitales Spielzeug.“
Aber genau das sind sie nicht. Oder zumindest: nicht nur.
Denn diese Actionfiguren in ihren Blisterboxen, diese scheinbar banalen Kompositionen aus Pose, Outfit, Accessoires und Karton – sie sind kleine Spiegel. Sie fangen etwas ein, das oft viel zu flüchtig ist: Wie wir uns selbst sehen wollen. Oder wie wir vielleicht gesehen werden möchten – jenseits des Alltags, jenseits gesellschaftlicher Zuschreibungen.
Sie machen etwas sichtbar, das oft nur innen existiert. Und sie tun das mit einem Augenzwinkern. Mit Stil. Mit Haltung.
Ich in 14 Ausgaben – und jede hat eine Geschichte
Ich habe inzwischen über ein Dutzend Figuren von mir erstellt – jede einzelne im Stil eines „Boxed Sets“, jede mit einem anderen Thema. Und ich kann dir sagen: Jede hat mich verändert.
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Als „Travel Queen“ sehe ich mich mit Koffer und Kamera in einem europäischen Altstadtviertel – wach, neugierig, offen für die Welt.
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Als „Healing Hero“ trage ich ein Stethoskop, stehe vor einer Notaufnahme, bin fokussiert und präsent – ein Bild meiner Fürsorglichkeit und Stärke.
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Als „Midnight Enchantress“ umgibt mich Nebel, Magie und ein geheimnisvolles Lächeln – ein stilles Bekenntnis zu meiner spirituellen Seite.
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Als „Catmom“ sitze ich auf dem Sofa, eingekuschelt mit einer Plüschkatze und einem Tee – mein zärtlicher Rückzugsort.
Und nein, keine davon ist „die wahre Sarah“. Sie alle sind wahr. Auf ihre Weise. Und zusammen ergeben sie ein Mosaik, das mir manchmal mehr über mich selbst erzählt, als ich es mit Worten könnte.
Künstliche Intelligenz, echte Gefühle
Ich finde es faszinierend, dass diese Bilder aus einem Zusammenspiel von Text und Technik entstehen. Ich beschreibe, wer ich bin – in präziser Sprache, mit klarer Vorstellung. Die KI visualisiert das, und plötzlich steht da: Ich. In Plastik. In einer Vision. In einer Box, die sagt: Du bist wertvoll. Du bist sammelbar. Du bist du.
Und ja, das geht auch mit Ironie. Ich lache gern über meine „Boss Edition“ mit Organizer und scharfem Blick. Ich schmunzle über die „Peak Energy“-Version mit Yogamatte und Wasserflasche (Spoiler: Ich mache keinen Sport, aber ich sehe verdammt motiviert aus!). Aber in jeder dieser Darstellungen steckt auch ein wahrer Kern.
Ich glaube, das ist das Geheimnis dieses Trends: Er erlaubt uns, unsere Widersprüche zu lieben. Unser Spiel mit Identitäten. Unsere Wandlungsfähigkeit. Unsere Schönheit – in allen Formen.
Ein Trend, der mehr ist als nur ein Meme
Was ursprünglich als witziger KI-Trend begann, ist mittlerweile Teil einer größeren Bewegung. Menschen nutzen diese Darstellungen, um auf sich aufmerksam zu machen. Um sich sichtbar zu machen. Um Geschichten zu erzählen.
Auf Social Media – besonders Instagram und TikTok – gibt es mittlerweile tausende Beiträge mit Hashtags wie
📦 #actionfigureme
📦 #boxedsetchallenge
📦 #aiidentity
Und längst haben auch Unternehmen diesen Trend entdeckt. Die Polizei Wien veröffentlichte „Law Enforcement Legends“. Starbucks zeigte ihre Barista-Figuren. Und Influencer*innen weltweit setzen ihn ein, um auf Körpervielfalt, Genderfluidität oder mentale Gesundheit aufmerksam zu machen.
Warum ich das weiterführen werde
Ich mache weiter damit. Nicht, weil ich eitel bin. Nicht, weil ich eine Marke sein will. Sondern weil es mir Freude macht. Weil ich mich dadurch spüre. Weil ich anderen damit zeige: Du darfst du sein. Auch in Boxen. Vor allem da.
Für meinen Blog plane ich eine komplette Serie:
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Jede Figur mit Text, Hintergrundgeschichte, innerem Bezug
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Ergänzt um Making-Of-Eindrücke, Feedback meiner Community
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Und ja, vielleicht irgendwann sogar: eine kleine Ausstellung.
Teil 3 – Was bleibt, wenn die Verpackung aufgeht
Was ich wirklich gelernt habe
Diese Boxen, so verspielt sie sind, haben mir geholfen, mich selbst neu zu betrachten – nicht nur als Frau, nicht nur als trans Frau, sondern als ein Mensch mit vielen Rollen, Facetten, Stimmungen. Ich bin nicht nur „Sarah“. Ich bin auch „Healing Hero“. „Indie Rockstar“. „Book Haven“. Ich bin zärtlich und stark, verspielt und ernst, sichtbar und geheimnisvoll.
Was mich dabei besonders berührt hat: Ich habe mich nie verkleidet gefühlt. Jede dieser Figuren ist eine Möglichkeit, ein Aspekt, ein Fenster in mich selbst. Und manchmal braucht es genau diese Distanz – diese Miniaturform in Plastikoptik – um wieder näher bei sich selbst zu landen.
Ein Aufruf an dich
Vielleicht liest du das und denkst: „Das ist nett, aber nichts für mich.“ Oder du denkst: „Wie soll ich mich in einer Actionfigur darstellen, wo ich doch selbst oft nicht weiß, wer ich eigentlich bin?“
Dann sag ich dir: Genau darum geht es. Du brauchst keine perfekte Antwort. Nur eine Idee, ein Gefühl, einen Impuls. Probiere es aus. Du wirst überrascht sein, was sichtbar wird, wenn du dich selbst in den Mittelpunkt stellst – im besten Sinn.
Diese Figuren sind keine Flucht aus dem Alltag. Sie sind eine Rückkehr zur Fantasie. Eine Art, das Kind in uns ernst zu nehmen, ohne es zu infantilisieren. Eine Form von digitalem Selbstausdruck, die gleichzeitig verspielt und empowernd ist.
Und was ist mit Realität?
Manche fragen mich: „Aber ist das nicht alles künstlich?“
Meine Antwort ist: Was heißt denn real?
Ist ein Selfie auf Instagram real? Ist ein professionelles Bewerbungsfoto real? Ist ein Roman über das eigene Leben weniger wahr, weil er fiktionalisiert ist?
Ich glaube, wir brauchen mehr Zwischenräume. Mehr kreative Spielflächen, wo wir mit Identität experimentieren können – ohne uns ständig erklären oder rechtfertigen zu müssen. Für mich sind diese Actionfiguren genau das: Zwischenräume voller Wahrheit.
Mein Ausblick – und eine leise Vision
Ich träume davon, dass dieser Trend bleibt. Nicht als Hype, sondern als Werkzeug. Als Ritual. Als Kunstform.
Ich träume von trans Frauen, die sich als „Limitierte Edition“ inszenieren – voller Stolz und Präsenz.
Von nicht-binären Menschen, die ihre fluiden Identitäten in wechselnden Accessoires sichtbar machen.
Von älteren Frauen, die sich nicht mehr verstecken, sondern sagen: „Ich bin sammelbar – mit Geschichte.“
Vielleicht baue ich mal eine Ausstellung daraus. Vielleicht schaffe ich eine Workshopreihe. Vielleicht bleibt es einfach ein Schatz in meinem Blogarchiv. Aber was auch immer daraus wird: Diese Bilder gehören zu mir. Und ich bin stolz darauf.
📚 Glossar
Actionfigur
Eine bewegliche Kunststofffigur, die oft eine Rolle aus Film, Serie oder Popkultur darstellt. Im KI-Kontext meist als fotorealistisches Standbild in Verpackung visualisiert.
Boxed Set / Blisterverpackung
Typische Verpackungsform für Actionfiguren – meist mit Sichtfenster (Blister) und stilisiertem Kartonhintergrund.
KI-generierte Bildserie
Eine Serie von Bildern, die mithilfe künstlicher Intelligenz erstellt wurde – hier auf Basis von textuellen Prompts (Anweisungen) und ggf. Bildern durch Modelle wie DALL·E.
GPT-4o / DALL·E
Bildgenerator aus der GPT-Familie von OpenAI. Ermöglicht detaillierte KI-generierte Bilder durch Kombination von Textbeschreibung und ggf. Fotoanalyse.
Signature-Profil (hier: Sarah)
Ein fester visuell-stilistischer Rahmen, in dem Körperform, Frisur, Haltung, Gesichtsausdruck und Accessoires (z. B. Brille, Halsband) definiert sind – zur konsistenten Darstellung in KI-Prozessen.
BDSM-O-Ring-Halsband
Ein Lederhalsband mit silbernem Ring – in der BDSM-Szene ein Symbol für Hingabe, Identifikation oder Beziehung. In meinem Fall auch ein Element meiner persönlichen Ästhetik und Ausdrucksform.
Trans Frau
Eine Frau, die bei Geburt als männlich eingeordnet wurde, sich aber als Frau identifiziert und lebt. Ich bin eine davon – mit Stolz.
Self-Empowerment
Ein Prozess, durch den Menschen sich selbst bestärken, ihre Identität sichtbar machen und ihre Handlungsmacht zurückerobern – auch durch kreative Mittel.
Popkultur
Ein Sammelbegriff für kulturelle Ausdrucksformen (Musik, Serien, Comics, Mode etc.), die breite gesellschaftliche Wirkung entfalten und oft identitätsbildend wirken.

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