Ein Klick – und eine Welt verschwindet
Es war ein eigenartiges Gefühl, auf den „Löschen“-Button zu klicken. Nicht, weil es technisch kompliziert gewesen wäre. Sondern weil ich spürte, dass ich gerade eine Tür schließe, die lange offenstand – eine Tür zu Erinnerungen, Begegnungen, Netzwerken. Und zu einem Teil meiner Geschichte.
Facebook war viele Jahre ein digitaler Spiegel meines queeren Lebenswegs. Ich habe dort meine ersten vorsichtigen Schritte als offen trans Frau gemacht. Habe Texte geschrieben, die sich anfühlten wie Wagnisse – und wurde gelesen. Ich habe Anerkennung erfahren, auch Kritik. Ich habe Menschen getroffen, die mich begleiten, prägen, stärken.
Und trotzdem: Ich habe Meta den Rücken gekehrt. Bewusst. Entschieden. Nicht aus Trotz, sondern aus Verantwortung.
Der Anfang vom Ende: Warum aus Verbindung Belastung wurde
Facebook war einmal ein Ort der Hoffnung. Für viele queere Menschen, auch für mich, war es der erste Raum, in dem wir sichtbar sein durften – manchmal sogar sicherer als im echten Leben. Ich erinnere mich an späte Nächte, in denen ich Mut zusammennahm, um ein neues Profilbild hochzuladen. An Kommentare von Menschen, die sagten: „Du gibst mir Hoffnung.“ Es war nicht nur digital. Es war intim.
Doch mit der Zeit kippte die Atmosphäre. Die Algorithmen wurden lauter, greller, zudringlicher. Was zählte, war nicht mehr die Tiefe eines Beitrags, sondern seine Performance. Sichtbarkeit wurde zur Währung, und die Regeln dieser Ökonomie veränderten sich ständig – intransparent, willkürlich, unberechenbar.
Ich wurde zunehmend konfrontiert mit Werbung, die meine Unsicherheiten ausbeutete. Mit Beauty-Standards, die Körper wie meinen unsichtbar machten. Und mit Kommentaren, die nicht mehr diskutieren wollten, sondern verletzen. Irgendwann fühlte ich mich auf Plattformen wie Facebook und Instagram nicht mehr gesehen, sondern ausgestellt.
Plattformregeln: Zwischen Willkür und politischer Verantwortung
Was mich jedoch am tiefsten beunruhigte, war nicht der Shitstorm einzelner Nutzer:innen. Es war die Art und Weise, wie Meta – als Konzern – damit umging. Die Inhalte, die gelöscht wurden, waren oft die falschen. Transfeindliche Hetze blieb stehen, während queere Aufklärung entfernt wurde – angeblich wegen „Verstoßes gegen Gemeinschaftsrichtlinien“. Beiträge, in denen ich über Körper, Lust oder Selbstbestimmung schrieb, wurden markiert oder eingeschränkt. Mein Blick auf die Welt war plötzlich „problematisch“.
Gleichzeitig beobachtete ich, wie rechte Narrative, Fake News und gezielte Desinformation sich immer weiter ausbreiteten. Oft ungefiltert. Oft unkommentiert. Und dann kam die Nachricht: Meta streicht den Faktencheck für EU-Nutzer:innen.
Ich musste das zweimal lesen, um zu begreifen, was das bedeutet: Kein Schutz mehr vor Lügen. Keine Korrektur. Keine Verantwortung. In einem Europa, das ohnehin von autoritären Stimmen durchzogen wird, war das für mich ein Wendepunkt.
Verantwortung als Haltung – nicht als Privileg
Ich weiß, nicht jede Person kann sich leisten, Meta zu verlassen. Gerade queere Menschen, die in ländlichen Gegenden leben oder keine anderen sicheren Netzwerke haben, sind auf Plattformen wie Instagram angewiesen. Sie sind dort sichtbar, vernetzt, verbunden. Und ich will das nicht verurteilen.
Aber ich bin in einer anderen Position. Ich habe meine eigene Website. Ich habe alternative Kanäle wie Mastodon oder Bluesky. Ich kann mir leisten, laut zu sagen: Ich gehe.
Und ich gehe nicht, weil ich müde bin. Ich gehe, weil ich wach bin. Weil ich nicht mehr Teil eines Systems sein möchte, das durch seine Untätigkeit strukturelle Gewalt ermöglicht – gegen Menschen wie mich. Sichtbarkeit ist keine neutrale Entscheidung. Wo ich sichtbar bin, zeigt, wofür ich stehe.
Warum Bluesky für mich eine Alternative ist
Viele fragen mich seit meinem Ausstieg: Und wo bist du jetzt?
Meine Antwort lautet: Bluesky. Du findest mich unter
🔗 https://bsky.app/profile/mrssarahmewes.bsky.social
Bluesky ist kleiner. Die Reichweite ist geringer. Aber die Atmosphäre ist – zumindest bisher – respektvoller. Weniger algorithmisch. Weniger laut. Ich fühle mich dort freier, weil die Plattform mir nicht ständig vorschreibt, wie ich zu sein habe, um „gesehen“ zu werden.
Natürlich ist Bluesky nicht perfekt. Es fehlen viele Funktionen, die andere Plattformen bieten. Aber mir geht es nicht um Komfort. Mir geht es um Haltung. Um digitale Räume, die mit meinem Menschenbild vereinbar sind.
Sichtbarkeit ist nicht gleich Aufmerksamkeit
Ein Satz hat sich mir eingebrannt, seit ich Meta verlassen habe:
Sichtbarkeit ist nicht dasselbe wie Aufmerksamkeit.
Ich war auf Facebook sichtbar. Ich hatte tausende Follower:innen. Aber wurde ich wirklich gehört? Kam meine Botschaft wirklich an – bei denen, für die sie gedacht war?
Ich glaube, wir unterliegen einer großen Illusion: Dass Reichweite gleich Bedeutung sei. Aber was bringt es, wenn ein Text hunderttausend Mal gelesen wird, aber niemand sich wirklich gemeint fühlt? Was zählt, ist nicht der Klick. Sondern das, was danach bleibt: Ein Gedanke. Ein Gefühl. Eine Verbindung.
Der queere digitale Raum: Zwischen Schutzraum und Angriffsfläche
Für viele von uns sind digitale Räume mehr als nur Kanäle. Sie sind Lebensadern. Gerade für queere, trans und nicht-binäre Menschen – besonders in Ländern oder Regionen, in denen wir offline kaum oder gar keine sichere Sichtbarkeit haben. Social Media war lange Zeit ein Zufluchtsort. Ein Ort, an dem wir unsere Geschichten erzählen konnten, ohne uns jedes Mal erklären zu müssen.
Ich erinnere mich an Gespräche in Kommentarspalten, die echte Begegnungen waren. An private Nachrichten von Menschen, die mir sagten: „Ich dachte, ich sei allein. Aber du hast mir gezeigt, dass ich existieren darf.“ Diese Form von digitaler Nähe war nie belanglos. Sie war existenziell.
Aber genau deshalb sind wir auch besonders verletzlich.
Wenn Algorithmen queerfeindliche Inhalte bevorzugen, weil sie „engagementstark“ sind.
Wenn Plattformen systematisch queere Beiträge als „sensibel“ markieren, während Hasskommentare unkommentiert stehen bleiben.
Wenn Plattformregeln die Realität queerer Körper und Identitäten zensieren, weil sie nicht der cis-heteronormativen Norm entsprechen.
Es ist nicht „nur“ eine digitale Erfahrung. Es ist eine Fortsetzung gesellschaftlicher Diskriminierung – im Code.
Die politische Dimension von Sichtbarkeit
Was bedeutet es, auf einer Plattform wie Facebook aktiv zu bleiben, während demokratische Grundprinzipien ausgehöhlt werden?
Was bedeutet es, wenn ein Konzern wie Meta entscheidet, keine Fakten mehr zu checken, obwohl gezielte Desinformation zur Waffe geworden ist?
Ich glaube nicht mehr an die Illusion, dass Plattformen neutral sind. Jede Plattform ist ein Raum mit Regeln, mit Machtstrukturen, mit Interessen. Und wer dort sichtbar ist, trägt diese Strukturen mit – ob bewusst oder nicht.
Ich möchte mir nicht länger vormachen, dass mein Aktivismus auf Meta eine Form des Widerstands sei. Er war Teil eines Systems, das von Polarisierung profitiert. Das mit Aufmerksamkeit handelt – auch, wenn sie aus Hass besteht. Ich habe erkannt: Manchmal bedeutet Widerstand auch, auszusteigen.
Digitale Selbstfürsorge: Abschied als Schutz
Mein Abschied von Meta war kein leichter Schritt. Aber er war ein Akt der Selbstfürsorge. Ein Nein zu einer Dauerbelastung, die ich zu lange normalisiert hatte. Ein Ja zu einem digitalen Raum, der mich nicht jeden Tag zwingt, mich zu rechtfertigen oder zu verteidigen.
Ich habe gemerkt, wie sich mein Nervensystem verändert hat, seit ich nicht mehr ständig auf Instagram nachsehen muss, ob mein letzter Post „shadowbanned“ wurde. Wie viel ruhiger ich schlafe, weil ich keine Kommentare mehr bekomme, die meine Existenz infrage stellen.
Es ist paradox: Ich habe Sichtbarkeit verloren – aber Würde gewonnen.
Was ich mitnehme – und was ich zurücklasse
Ich nehme viel mit aus meiner Zeit bei Meta: Mut. Erfahrung. Kontakte, die zu Freundschaften wurden. Ein Gefühl für digitale Sprache, für Resonanz, für Wellenbewegungen in der Kommunikation.
Aber ich lasse auch vieles zurück: Die ständige Angst vor Sperrung. Die schleichende Anpassung an den Algorithmus. Das Gefühl, „performen“ zu müssen, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.
Ich will nicht mehr performen. Ich will sprechen.
Ich will Texte schreiben, die nicht für den Algorithmus, sondern für Menschen gedacht sind. Ich will Räume schaffen, die nicht durch Likes definiert sind, sondern durch Vertrauen.
Was bedeutet digitale Heimat heute?
Ich stelle mir diese Frage immer wieder: Wie sieht ein digitaler Ort aus, an dem ich wirklich zu Hause sein kann?
Nicht im Sinne von Bequemlichkeit – sondern im Sinne von Verbundenheit. Ein Raum, in dem ich nicht ständig kämpfen muss, um gesehen zu werden. Ein Raum, der mich nicht algorithmisch verzerrt oder emotional manipuliert.
Ich glaube, digitale Heimat beginnt dort, wo wir uns gegenseitig zuhören. Wo wir nicht nur „folgen“, sondern Beziehungen aufbauen. Wo der Austausch nicht durch Reichweitenlogik bestimmt ist, sondern durch ehrliche Neugier.
Vielleicht sind diese Räume kleiner. Weniger glänzend. Weniger perfekt. Aber sie sind echt. Und sie tun gut.
Abschalten ist politisch – und zutiefst persönlich
Ich weiß, das klingt für manche vielleicht pathetisch. Aber ich stehe zu jeder Zeile:
Ein Like weniger kann mehr bewirken als tausend Kommentare.
Ein Account weniger auf Meta ist auch ein Statement.
Nicht gegen Menschen. Ich gehe nicht, weil ich andere verurteilen will, die bleiben. Ich gehe, weil ich Verantwortung übernehme – für mich. Für meine mentale Gesundheit. Für die politische Wirkung meiner Präsenz. Für die Strukturen, die ich (nicht mehr) stützen möchte.
Denn es geht nicht nur darum, was ich sage – sondern auch darum, wo ich es sage. Und welche Systeme ich durch meine Sichtbarkeit mittrage.
Ich habe die Entscheidung getroffen, nicht mehr Teil einer Plattform zu sein, die demokratische Grundprinzipien aufgibt, während sie Milliarden verdient. Eine Plattform, die queerfeindliche Narrative zulässt und gleichzeitig queere Sichtbarkeit beschränkt. Eine Plattform, die Verantwortung als freiwilliges Feature versteht – und nicht als Grundlage digitaler Ethik.
Was bleibt – und was kommt
Ich habe meine Konten gelöscht. Aber meine Stimme bleibt.
📌 Meine Website:
🔗 https://sarah-mewes.tv
📌 Mein Bluesky-Account:
🔗 https://bsky.app/profile/mrssarahmewes.bsky.social
📌 Meine Worte, meine Haltung, meine Klarheit.
Ich glaube daran, dass Menschen, die mich hören wollen, auch jenseits von Meta zu mir finden werden. Vielleicht nicht sofort, vielleicht nicht in Massen – aber tief, ehrlich, verbindlich.
Und wenn du mich jetzt fragst: „War’s das wert?“, dann sage ich:
Ja.
Weil ich wieder freier atme.
Weil meine Texte nicht mehr durch Filter gehen müssen, um sichtbar zu sein.
Weil ich mich wieder an den Kern erinnere: Schreiben, um zu berühren. Nicht, um zu gefallen.
Glossar
Meta-Plattformen
Sammelbegriff für die digitalen Dienste des Meta-Konzerns, ehemals Facebook Inc. Dazu zählen unter anderem Facebook, Instagram, WhatsApp und Threads. Seit der Umbenennung im Jahr 2021 verfolgt Meta offiziell die Vision eines „Metaversums“ – ein digital vernetzter Raum, der reale und virtuelle Erlebnisse verschmelzen soll. Kritisiert wird Meta für intransparente Algorithmen, Datenschutzverletzungen und unklare ethische Positionierungen.
🔗 https://about.meta.com
Faktencheck (Meta, ehemals Third Party Fact Checking)
Ein Programm, bei dem unabhängige Organisationen Inhalte auf Plattformen wie Facebook oder Instagram auf ihre Richtigkeit überprüften. In der EU wurde dieses Programm 2024 vollständig eingestellt. Die Abschaffung wurde weder transparent kommuniziert noch mit alternativen Maßnahmen ersetzt.
🔗 https://www.meta.com/news
Desinformation
Gezielte Verbreitung von falschen oder irreführenden Informationen, mit dem Ziel, öffentliche Meinung zu manipulieren, Vertrauen zu untergraben oder gesellschaftliche Gruppen gegeneinander aufzuhetzen. Besonders queere, trans und nicht-binäre Inhalte sind regelmäßig Zielscheibe digitaler Desinformationskampagnen.
Shadowban
Ein inoffizielles, oft nicht kommuniziertes Verfahren, bei dem Beiträge auf Social Media zwar technisch sichtbar bleiben, jedoch nicht mehr in den Feeds anderer Nutzer:innen erscheinen oder in der Suche auftauchen. Besonders queere Inhalte werden laut Berichten überdurchschnittlich häufig davon betroffen.
Bluesky
Ein dezentrales soziales Netzwerk, das 2023 als quelloffene Alternative zu Twitter/X gegründet wurde. Bluesky basiert auf dem AT-Protokoll (Authenticated Transfer Protocol) und soll langfristig eine föderierte Struktur ermöglichen – ähnlich wie Mastodon. Es legt mehr Wert auf Inhalte als auf algorithmisch erzeugte Aufmerksamkeit.
🔗 https://bsky.app
Digitale Selbstfürsorge
Ein Begriff, der beschreibt, wie Menschen bewusst digitale Räume und Verhaltensweisen wählen, die ihrer psychischen Gesundheit guttun. Dazu zählt auch der bewusste Rückzug aus toxischen oder überfordernden Umgebungen – zum Beispiel durch das Löschen von Accounts, das Deaktivieren von Benachrichtigungen oder das gezielte Vermeiden bestimmter Inhalte.
Algorithmus
Ein mathematisches Regelwerk, das Social-Media-Plattformen dazu nutzen, zu entscheiden, welche Inhalte Nutzer:innen angezeigt bekommen. Diese Algorithmen optimieren häufig auf Engagement – also Klicks, Kommentare, Likes –, was in der Praxis zu einer Bevorzugung von emotional polarisierenden oder reißerischen Inhalten führt.
✨ Mein Dank an dich
Wenn du bis hierher gelesen hast: Danke.
Danke für deine Zeit, dein Vertrauen, deine Offenheit.
Vielleicht treffen wir uns nicht mehr täglich in einer Facebook-Timeline.
Aber vielleicht begegnen wir uns auf anderen Wegen – mit Tiefe, Stille, Neugier.
Ich freue mich auf dich.