Mein Weg durch die Transition – Erfahrungen einer trans Frau


Sarah mit schwarzer Brille, rotem Kleid und Lederhalsband – selbstbewusster Blick, ruhige Ausstrahlung

Es gibt Reisen, auf die man sich nicht vorbereitet fühlt.
Und es gibt Reisen, die man sich nicht ausgesucht hat – und die doch den eigenen Kern sichtbar machen.
Meine Transition war genau so eine Reise.

Heute nehme ich dich mit.
Nicht nur durch Stationen und Meilensteine – sondern in die inneren Landschaften, die sich aufgetan haben.
In die Hoffnung, die Zweifel, die Kraft und die kleinen Wunder, die meinen Weg geprägt haben.
Denn Sichtbarkeit beginnt nicht nur auf der Straße oder im Ausweis – sondern in dem Moment, in dem wir unsere Wahrheit aussprechen.

Der Anfang: Sehnsucht, die nicht verstummt

Lange Zeit lebte ich mit einer stillen Ahnung.
Etwas in mir passte nicht zu dem Bild, das die Welt von mir hatte.
Ich funktionierte. Ich erfüllte Rollen. Ich war gut darin, Erwartungen zu erfüllen.

Doch tief in mir war da diese feine Unruhe, die nicht verging.
Eine Sehnsucht, die nicht verstummte.
Ein Wissen, das keinen Namen hatte – und trotzdem so deutlich spürbar war.

Ich versuchte, diese Stimme zu überhören.
Ich kleidete mich in das Leben, das man mir gegeben hatte.
Aber unter all den Schichten blieb eine Traurigkeit, die ich kaum erklären konnte.
Eine Art inneres Heimweh – nach mir selbst.

Der erste Schritt: Ich bin eine Frau

Der erste Schritt meiner Transition war kein medizinischer Eingriff, keine Therapie, kein Coming-Out.
Es war ein Moment der inneren Ehrlichkeit.

Ich saß allein auf meinem Bett.
Kein besonderes Datum, kein dramatischer Augenblick – und doch einer der wichtigsten meines Lebens.

Ich sprach es laut aus, nur für mich:
„Ich bin eine Frau.“

Es war, als hätte ich mir selbst das erste Mal zugehört.
Nicht aus Angst, nicht im Konjunktiv, nicht als Theorie – sondern als Wahrheit.

Und ich weinte.
Nicht, weil es wehtat. Sondern weil es endlich wahr war.
Weil ich mir selbst begegnet war.

Coming-Out: Befreiung und Verletzlichkeit

Mein Coming-Out als trans Frau war einer der mutigsten und verletzlichsten Schritte meines Lebens.
Es bedeutete, mich seelisch nackt zu machen – vor Menschen, die mich lange kannten und doch nie wirklich gesehen hatten.

Ich begann bei engen Freund:innen, tastete mich vor zu Kolleg:innen, schließlich zur Familie.
Manche reagierten mit Liebe.
Manche mit Unsicherheit.
Manche mit eisigem Schweigen.

Ich verstand:
Ein Coming-Out ist immer auch ein Spiegel.
Es zeigt, wer wir sind – aber auch, wer die anderen sind.
Manche Beziehungen gewannen an Tiefe.
Andere fielen in sich zusammen.

Doch jede dieser Erfahrungen hat mich gestärkt.
Ich lernte:
Ich darf verletzlich sein.
Ich darf mich zeigen – auch wenn andere sich abwenden.
Ich bin nicht allein. Und selbst wenn: Ich bin genug.

Der juristische Weg: Das TSG – ein Relikt mit Folgen

Als ich meine Personenstands- und Namensänderung beantragte, war das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) noch gültig.
Ein Gesetz aus dem Jahr 1981, das für mich wie ein archaischer Prüfstein wirkte.

Ich musste zwei psychologische Gutachten vorlegen.
Menschen, die mich kaum kannten, sollten beurteilen, ob ich „trans genug“ sei.
Ob meine „Transsexualität im Sinne des Gesetzes“ vorlag.
Ich musste intime Fragen beantworten, mich durchleuchten lassen, mich erklären.

Ich fühlte mich nicht als Mensch gesehen – sondern als Fallakte.
Und trotzdem ging ich diesen Weg.
Denn am Ende stand ein kleiner Satz im Urteil des Gerichts:
„Der Antrag wird stattgegeben.“

Zum ersten Mal in meinem Leben stimmte das amtliche Dokument mit meinem inneren Ich überein.
Ich war sichtbar. Auch auf dem Papier.

Das neue Selbstbestimmungsgesetz, das 2024 in Kraft trat, macht diese Schritte überflüssig.
Ich freue mich für jede Person, die dadurch einen würdigeren Weg gehen kann.
Aber meine Geschichte bleibt geprägt von diesem steinigen Abschnitt.
Und sie ist Teil dessen, was mich heute trägt.

Hormonersatztherapie: Gynokadin und die Kunst des Wandels

Ein Meilenstein meiner Transition war der Beginn der Hormonersatztherapie (HRT).
Ich begann mit Gynokadin Dosiergel, einem transdermalen Östrogenpräparat.
Es enthält Estradiol, das wichtigste körpereigene weibliche Hormon.

Ich erinnere mich noch genau an den ersten Tag.
Ich hielt das Gel in der Hand, atmete tief durch – und wusste: Das ist der Beginn von etwas Großem.

Ich trage das Gel täglich auf – meist an den Oberschenkeln oder am Unterbauch.
Es zieht schnell ein, belastet die Leber kaum und lässt sich gut dosieren.

Und ja – ich sammle jede leere Flasche.
Sie stehen wie kleine Mahnmale in meinem Regal.
Nicht weil ich sie brauche – sondern weil sie mich daran erinnern, wie weit ich gekommen bin.
Jede einzelne ist ein stiller Zeuge meines Ja zu mir selbst.


Veränderungen auf vielen Ebenen: Was HRT in mir bewegt hat

Hormone verändern nicht nur den Körper – sie verändern das Fühlen.
Mit der Zeit wurde meine Haut weicher, meine Körperform weiblicher, der Bartwuchs langsamer.
Aber das waren nicht die tiefsten Veränderungen.

Was mich wirklich überrascht hat, war die emotionale Tiefe, die sich plötzlich öffnete.
Ich spürte Trauer anders. Freude intensiver.
Manchmal war ich überwältigt von Gefühlen, für die ich früher keine Worte hatte.

Es war, als hätte jemand einen neuen Frequenzbereich in meinem inneren Radiosender freigeschaltet.
Ich begann, mich selbst besser zu hören.
Und ich verstand: Diese Hormone machen mich nicht zu einer Frau.
Aber sie helfen mir, die Frau zu leben, die ich bin.

Körperliche Grenzen, gesellschaftliche Barrieren

Nicht alles an der HRT verlief linear.
Es gab Phasen des Wartens, Rückschritte, Unsicherheiten.
Mein Körper reagierte nicht immer so, wie ich es mir wünschte.

Und draußen?
Ich wurde plötzlich sichtbar – aber nicht immer in der Art, wie ich es mir erhofft hatte.
Transphobie ist keine Theorie.
Sie begegnet dir in Blicken, in Fragen, in Strukturen.

Ich lernte, dass Transition nicht nur ein medizinischer oder rechtlicher Prozess ist.
Sondern auch ein sozialer.
Ein Ringen um Sichtbarkeit, um Würde, um Räume, in denen ich nicht nur geduldet, sondern willkommen bin.

Operationen: Wunsch und Wirklichkeit

Meine genital-feminisierende Operation (GaOP) ist für Mai 2028 geplant.
Vielleicht kann ich sie auf 2027 vorziehen – aber ich plane mit Zeit.

Und ja: Es ist ein Wunsch, kein Zwang.
Ich weiß, dass nicht jede trans Frau diesen Schritt geht – und dass das genauso richtig ist.

Für mich jedoch bedeutet diese OP: ein Ankommen in meinem Körper.
Ein tiefer Frieden.
Eine Versöhnung.

Ich trage dabei auch die Geschichten derer mit mir, die diese OP nie erleben konnten.
Wegen Krankheit, fehlender Anerkennung, Diskriminierung – oder weil ihr Leben vorher zu Ende war.
Sie sind Teil meines inneren Raumes.
Und sie geben meinem Weg Tiefe und Demut.

Die Rolle von Therapie: Spiegel, Halt, Heilung

Ich habe früh entschieden, mich psychotherapeutisch begleiten zu lassen.
Nicht weil ich „krank“ war – sondern weil ich verstanden habe, dass Heilung Zeit und Raum braucht.

Therapie half mir, meine eigene Geschichte neu zu erzählen.
Nicht als Opfergeschichte – sondern als Prozess der Selbstermächtigung.

Ich lernte, alte Wunden nicht zu verdrängen, sondern zu würdigen.
Und ich fand Worte für Gefühle, die lange im Schatten gelegen hatten.

Manchmal waren es kleine Sätze, die alles veränderten.
Ein „Du darfst sein, wie du bist.“
Ein „Das war nicht deine Schuld.“
Ein „Du bist da. Und das genügt.“

Diese Sätze begleiteten mich weit über den Praxisraum hinaus.
Sie wurden zu inneren Ankern.

Beziehungen und soziale Veränderungen

Meine Transition hatte auch Auswirkungen auf mein Umfeld.
Freundschaften veränderten sich.
Manche wuchsen tiefer. Andere lösten sich auf.

Familie ist ein besonderes Kapitel.
Nicht jede:r konnte oder wollte mitgehen.
Ich habe gelernt, auch das anzunehmen.

Denn Nähe ist kein Geschenk.
Sie entsteht dort, wo Ehrlichkeit und Empathie sich begegnen.

Heute bin ich dankbar für die Menschen, die geblieben sind – und für jene, die neu dazugekommen sind.
Sie sehen mich. Nicht nur mein Äußeres. Sondern mein ganzes Sein.

Und manchmal vermisse ich auch die, die gegangen sind.
Das darf sein.
Denn auch Verlust ist ein Teil von Wandel.


Alltag nach der Transition: Kein Happy End – sondern echtes Leben

Was viele nicht sehen: Nach der Transition beginnt kein Märchen.
Es gibt kein „danach“ im Sinne eines fertigen Zustands.

Ich stehe morgens auf, trinke Kaffee, sortiere Gedanken.
Ich lache, zweifle, arbeite, träume.
Ich bin Partnerin, Freundin, manchmal laut, oft leise – einfach Mensch.

Ein paar Dinge sind leichter geworden: – Die Kleidung spiegelt endlich mein Inneres.
– Ich erkenne mich im Spiegel.
– Ich lebe nicht mehr im Versteck.

Andere Dinge bleiben herausfordernd: – Bürokratische Hürden.
– Medizinische Versorgung.
– Schutzräume, die nicht selbstverständlich sind.

Aber ich lebe.
Als die, die ich bin.
Mit Rückgrat, mit Herz, mit leeren Gynokadin-Fläschchen im Regal – und einem Ziel vor Augen:
Ich will sichtbar sein.
Für mich. Für andere. Für die, die noch suchen.


Fazit: Meine Wahrheit lohnt sich – und deine auch

Meine Transition war kein linearer Weg.
Es war ein Tanz mit dem Unbekannten.
Ein Aufbruch ins Eigene.

Ich bin nicht „fertig“ – und will es auch nicht sein.
Ich wachse. Ich verändere mich. Ich bleibe mir treu.

Und vielleicht hast du dich in meinen Worten wiedergefunden.
Vielleicht kennst du das Gefühl, gegen Erwartungen anzuleben.
Vielleicht wächst in dir eine neue Wahrheit.

Was auch immer dein Weg ist:
Er ist wertvoll. Er ist einzigartig. Und er darf sein.

Danke, dass du mich begleitet hast.

🎀 In Verbundenheit,
Sarah


Glossar: Begriffe rund um Transidentität

Transition
Bezeichnet die Gesamtheit der Maßnahmen (sozial, medizinisch, juristisch), die eine Person ergreift, um ihre Geschlechtsidentität sichtbar zu machen und zu leben.
🔗 https://www.dgti.org/lexikon/transition.html

Transidentität
Oberbegriff für Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht entspricht.
🔗 https://www.transinterqueer.org/

Transsexuellengesetz (TSG)
1981 eingeführtes Gesetz zur Änderung von Vornamen und Personenstand bei trans Personen. Seit 2024 abgelöst.
🔗 https://www.gesetze-im-internet.de/tsg/

Selbstbestimmungsgesetz (SBGG)
Seit 2024 in Kraft. Erlaubt trans, inter und nicht-binären Personen die einfache Änderung von Vorname und Geschlechtseintrag durch Selbstauskunft beim Standesamt.
🔗 https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Selbstbestimmungsgesetz.html

Hormonersatztherapie (HRT)
Medizinische Behandlung mit Östrogenen (und ggf. Antiandrogenen), um körperliche Merkmale an die Geschlechtsidentität anzupassen.
🔗 https://www.trans-healthcare.de/behandlungen/hormonersatztherapie

Gynokadin Dosiergel
Ein transdermales Estradiolpräparat zur Anwendung bei Frauen und trans Frauen im Rahmen der HRT.
🔗 https://www.besins-healthcare.de/produkte/gynokadin-dosiergel/

Genital-feminisierende Operation (GaOP)
Chirurgischer Eingriff zur Angleichung der äußeren Genitalien an das weibliche Geschlecht.
🔗 https://www.dgti.org/medizin/geschlechtsangleichung.html

Coming-Out
Der bewusste Schritt, sich gegenüber anderen als trans, queer oder anders identifiziert zu zeigen. Es kann sozial, beruflich oder familiär stattfinden – und ist ein individueller Prozess.

Gender Dysphorie
Psychisches Leiden, das durch die Diskrepanz zwischen dem erlebten Geschlecht und dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht entsteht.

Passing
Bezeichnet die Wahrnehmung einer trans Person durch andere Menschen im Sinne des gewünschten Geschlechts. Kein Muss – aber für viele mit Relevanz.


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