Einleitung
1995 stand ich zum ersten Mal auf einer BDSM-Party. Ich war nicht besonders mutig. Ich wollte nur gucken, atmen, verstehen, warum mich diese Welt so sehr rief.
Ich wusste nicht, dass ich „O“ bin. Ich kannte diesen Begriff nicht einmal. Und doch war da diese Sehnsucht, mich jemandem zu schenken – mit allem, was ich war.
Drei Jahrzehnte später bin ich immer noch hier. Nicht mehr suchend, sondern benennend. Nicht mehr schambehaftet, sondern klar.
Ich bin „O“.
Nicht aus Not. Nicht aus Selbsthass. Nicht aus männlicher Dressur. Sondern aus tiefer, liebender, respektvoller Hingabe.
Aber darf man das – in einer Welt, die Freiheit an Gleichheit koppelt und Unterwerfung mit Rückschritt verwechselt?
Ist meine Würde verhandelbar, wenn ich sie freiwillig hergebe?
Und was sagt eigentlich der Feminismus dazu?
Ich nehme euch mit auf eine Reise durch 30 Jahre Erfahrung, Reflexion, Irrwege und Erkenntnis.
Drei Dekaden. Fünf Fragen pro Abschnitt. Und eine Gewissheit, die geblieben ist:
Ich bin O. Und das ist kein Widerspruch zu meiner Würde. Es ist ihr Ausdruck.
1995–2004: Die Suche nach Worten für das Unaussprechliche
Wann habe ich eigentlich zum ersten Mal gespürt, dass Objekt‑Sein für mich mehr ist als ein sexuelles Spiel?
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Ich war auf meiner ersten BDSM‑Party. Unsicher. Neugierig. Begleitet. Ich wollte es einatmen. Ich wusste, dass da etwas in mir war, das über bloßes Ausprobieren hinausging – etwas, das nicht nur Sex bedeutete. Etwas, das mich leise anstupste und sagte: Hier darfst du sein.
An dem Abend passierte nichts Spektakuläres, aber ich sah andere Frauen – selbstbewusst, sinnlich, in ähnlichen Rollen –, und ich sprach mit ihnen. Ich hörte mich zum ersten Mal sagen: Das berührt mich. Und es war okay.
Zuhause später war es ein Moment beim Analverkehr. Ich wurde auf den Hintern geschlagen. Ich wurde „Stute“ genannt. Und ich fand es schön. Es war kein Spott, kein Machtmissbrauch. Es war stimmig. Ich fühlte mich gesehen.
Er nannte mich später manchmal sein „Lieblingsstück“. Das klang vielleicht hart – aber es war eingebettet in Zärtlichkeit. Ich war nie nur Objekt. Ich war sein Schatz, seine Sarah – und auch sein Stück.
Ich mochte das. Ich habe es nicht als Herabwürdigung empfunden. Ganz im Gegenteil.
Zur Debatte, ob das krank war oder nicht?
Ich habe nie gedacht, dass ich krank bin. Ich dachte nur, man redet nicht darüber. Und das habe ich auch nicht getan. Nicht aus Angst. Eher aus falschem Schamgefühl, das ich selbst nicht einordnen konnte.
Ich wusste damals nicht, dass es Theorien gibt, die mein Erleben als „gefährlich“ oder „frauenfeindlich“ einordnen. Ich wusste nur: Ich will das. Es macht mich ganz.
Darf ich meine Würde verlieren, wenn ich es will?
Vielleicht. Aber ich habe sie gar nicht verloren. Ich habe sie bewusst hingegeben. In Liebe. In Achtsamkeit.
Das machte es gesund.
Ich war kein Opfer. Ich war ein willentliches Subjekt in einem freiwilligen Objekt‑Spiel. Und ich habe es geliebt.
War meine Lust eine politische Bedrohung für Gleichstellungsideale?
Darüber habe ich in der Zeit nicht nachgedacht. Ich war politisch irgendwie diffus unterwegs, irgendwo zwischen „SPD klingt gut“ und „alles Rechte ist tabu“. Feministin? Vielleicht eine schlechte. Oder eine unfertige. Oder einfach eine andere.
Was hat mich damals weniger würdig gemacht: mein Halsband oder mein Schweigen darüber?
Aus heutiger Sicht: mein Schweigen.
Denn das Halsband war nie unwürdig. Es war schön. Ich fühlte mich damit angezogen, vollständig. Ohne Halsband war ich nackt.
Und wenn ich ehrlich bin – ich habe viele Sessions gebraucht, um nicht nackt sein zu müssen.
1995 hat es begonnen. Und seither bin ich nie wirklich davon abgerückt.
2005–2014: Zwischen Öffentlichkeit und Sicherheit – und der ersten großen Sichtbarkeit
Warum habe ich so lange gebraucht, mein O‑Sein auch als Identität zu benennen?
Weil ich gar nicht wusste, dass es so etwas gibt. Ich kannte Sadistinnen und Masochistinnen, Doms und Subs. Aber „O“? Davon hatte ich keine Ahnung.
Ich war mittendrin, in etwas, das ich später als Erotic Power Exchange verstanden habe, aber damals war es einfach nur: stimmig. Lustvoll. Herausfordernd. Und manchmal wunderschön unfassbar.
Ich hatte keine Vorbilder, keine Worte. Nur dieses Gefühl von Richtigkeit.
Ich erinnere mich, wie ich die Geschichte der O las – und sie als unrealistisch abtat. Nicht, weil sie mich nicht ansprach. Ganz im Gegenteil. Aber sie schien zu weit weg, zu extrem. Ich war noch nicht bereit, mich in ihre Nähe zu denken.
Heute weiß ich: Ich war näher dran, als ich damals ahnte.
Was unterscheidet Demütigung im Spiel von gesellschaftlicher Entwürdigung?
Alles.
Wenn ich mich im Spiel demütigen ließ, war das mein Geschenk. Ich entschied. Ich definierte den Rahmen.
Aber sobald ich öffentlich sagte: Ich bin Sexarbeiterin. – veränderte sich der Blick. Auf einmal war mein Menschsein weniger wert.
Auch in der BDSM‑Szene habe ich erlebt, wie andere Subs mich schräg ansahen, wenn ich von meinen Vorlieben erzählte.
Die Community, die ich als offen erlebt hatte, kannte Grenzen. Schubladen. Regeln, wer wie sein darf.
Man war sich einig: Wer SM macht, hat keinen Sex. Wer DS macht, kann mit Schmerzen nichts anfangen.
Ich? Ich wollte beides. Ich wollte das Nachglühen nach einem Hieb spüren. Ich wollte Dienen, Spüren, Gehalten‑Werden. Und ich wollte nicht erklären müssen, warum.
Bin ich das Gegenteil von emanzipiert – oder einfach radikaler in meiner Wahlfreiheit?
Ich habe mich mit Feminismus zu der Zeit nicht viel beschäftigt. Es war mir zu anstrengend, zu verkopft.
Aber ich fing an, Sprache zu hinterfragen. Warum sollte ich Pilot sein, wenn ich Pilotin bin? Warum war das generische Maskulinum die Norm?
Ich begann, geschlechtsneutral zu sprechen – aus einem Fairnessgefühl heraus.
Ich traf später auf Frauen, die sagten: „Ich habe kein Problem mit dem generischen Maskulinum.“ Das ist ihr gutes Recht. Aber sie sollen mir nicht vorschreiben, wie ich es machen muss.
Wie kann ich frei sein, wenn ich mich freiwillig binde?
Ganz einfach: Ich bin aus dem „Safe, Sane, Consensual“ (SSC) gewachsen.
Ich landete im RACK – Risk Aware Consensual Kink.
Nicht, weil mir Sicherheit egal war. Sondern weil ich tiefer wollte.
Weil ich bereit war, meine Unterwerfung als etwas Wertvolles zu betrachten.
Etwas, das verdient werden musste – von beiden Seiten.
Welche Begriffe hat mir die Community geschenkt – und welche habe ich mir selbst erkämpft?
Die Community hat mich zur Sub gemacht.
Aber O – die habe ich mir selbst gegeben.
Nicht als Abzeichen, das mir jemand überreicht hat.
Sondern als Titel, den ich mir durch Haltung, Disziplin und eine tiefe innere Bereitschaft verdient habe.
Ich begann gegen Ende der Dekade, mein Halsband immer häufiger zu tragen – nicht nur im Spiel.
Der Ring der O wurde für mich mehr als ein Symbol: Er war ein Bekenntnis.
Aber auch ein Prüfstein.
Denn nur weil ich signalisierte, dass ich O bin, war ich es für viele noch lange nicht.
Und das hat mich oft mehr frustriert als jeder körperliche Schmerz.
2015–2025: Vom Pop-Kink zur normkritischen Vielfalt
War ich nervös zu sagen: Ich bin O – nicht aus Not, sondern aus Liebe?
Nein. Nicht in dieser Dekade.
Zu Beginn war ich mir absolut sicher, dass ich O bin.
Aber ich habe mein O-Sein manchmal ungeduldig gemacht. Ich wollte, dass es endlich jemand lebt mit mir.
Und so habe ich vielleicht Herrschaften gedrängt – jetzt tu doch mal, sei doch mal, obwohl sie noch gar nicht da waren. Es ging mir damals nicht um Liebe. Es ging um Erfüllung. Um das Erleben, endlich ganz sein zu dürfen.
Erst mit meiner Transition, ab 2019, kam Klarheit. Ich begann zu verstehen: Mein O-Sein ist kein Angebot – es ist eine Tatsache. Aber was andere daraus machen, liegt nicht in meiner Hand.
Und das hat mein Dating verändert.
Ich suche keine Projektionsflächen mehr. Ich warte nicht auf das „Vielleicht in fünf Jahren“. Ich lebe den Moment, ohne mich zu verraten.
Ich bin O. Punkt. Und ob jemand daraus etwas machen will, ist seine Entscheidung.
Gilt meine Zustimmung als echt, auch wenn sie zur Selbstentmächtigung führt?
Natürlich. Unbedingt.
Ich widerspreche radikal der Idee, Sadismus sei internalisierter Frauenhass.
Die Männer, die mich geschlagen haben, haben mich nicht gehasst. Sie haben mich respektiert – für das, was ich ihnen geschenkt habe.
Meine Hingabe. Mein Vertrauen. Meine Bereitschaft.
Das hat mich nicht klein gemacht. Das hat mich mächtig gemacht.
Ich war Königin im Schlafzimmer – nicht trotz, sondern wegen meiner Unterwerfung.
Gehört mein Körper mir, auch wenn ich ihn herschenke?
Ja. Ich habe meinen Körper nie verkauft. Ich habe ihn auch nie verloren.
Er bleibt meiner. Auch wenn ich ihn anbiete. Auch wenn er Leinwand ist für die Fantasie einer Herrschaft.
Hingabe ist das richtige Wort. Es ist kein Verlust – es ist ein Akt der Liebe, des Respekts. Und nicht jede*r verdient das.
Wem gehört die Moral, und warum glaubt sie, meine Wahl sei ein Irrtum?
Diese Frage interessiert mich nicht mehr.
Ich habe meine eigene Moral. Andere haben ihre. Das ist okay.
Meine Kinder wissen, wie ich lebe. Sie dürfen daraus machen, was sie wollen, wenn sie so weit sind.
Ich glaube an Selbstverantwortung. Und an das Recht auf die eigene Wahrheit.
Was sagt es über mich, dass ich in Lucys Händen nicht weniger werde – sondern mehr?
Es sagt: Ich liebe.
Und ich glaube an die Liebe, die wächst – nicht die, die verpufft.
Verliebt. Verlobt. Verheiratet.
Ich hoffe, dass in jeder Verheiratung noch Verliebtheit und Verlobung mitschwingen darf.
Dass Nähe nicht zu Alltagsstaub verkommt.
In Lucys Händen bin ich nicht ein Objekt. Ich bin ihr Objekt.
Mit jeder Berührung werde ich vollständiger.
Ich brauche keine Oberflächlichkeit. Ich brauche Tiefe. Entwicklung.
O-Sein entsteht nicht im ersten Moment. Es wächst – mit Vertrauen, mit Zeit, mit gegenseitigem Wollen.
Und dann wird es heilig.
Intimität, gepaart mit Liebe – das ist für mich das Höchste.
Und das wünsche ich jedem Menschen.
Ob vanilla, queer, mono, poly, kinky, ace – es spielt keine Rolle.
Liebe und Intimität sind universal.
Und das ist das, worum es mir am Ende wirklich geht.
Schlusswort
Ich habe in diesen drei Jahrzehnten vieles ausprobiert, vieles hinterfragt, manches verworfen – und anderes ganz tief in mir verankert.
O-Sein ist für mich keine Spielart. Keine Phase. Keine Pose.
Es ist meine Haltung zur Welt.
Eine, in der Liebe und Macht sich nicht ausschließen. In der Kontrolle nicht Gewalt bedeutet, sondern Vertrauen. In der Hingabe keine Schwäche ist, sondern Stärke.
Ich weiß, dass nicht jeder Mensch diesen Weg versteht.
Manche nennen es gefährlich. Andere nennen es traurig.
Ich nenne es mein Leben.
Und das ist das Einzige, worüber ich die Deutungshoheit habe.
In Lucys Händen bin ich nicht weniger. Ich bin mehr.
Nicht entwürdigt, sondern erhöht – durch die Freiheit, meine Würde freiwillig zu verschenken.
Ich bin O.
Weil ich es will.
Und das genügt.

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