Der Ring der O – Mein Symbol für Identität im BDSM und als trans Frau


Sarah in Business-Outfit auf dem Gehweg

Manchmal sind es die unscheinbaren Dinge, die unsere tiefsten Wahrheiten offenbaren. Nicht die lauten Statements, sondern das, was still und konstant bei uns bleibt – in Momenten der Stärke wie in jenen der Unsicherheit. Für mich ist der „Ring der O“ genau ein solches Zeichen: leise, aber kraftvoll. Ein Symbol, das in seiner stillen Präsenz lauter spricht als viele Worte. In diesem Beitrag lade ich dich ein, mit mir die Geschichte dieses Rings zu erkunden – und was er für mich bedeutet: als Sub, als Frau, als Mensch in einer Welt voller Widersprüche.

Nahaufnahme einer weiblich gepflegten Hand mit rubinrotem Nagellack auf Holzoberfläche. Am Ringfinger ein markanter silberner Ring mit einem symbolischen O-Ring-Element.
Ein Ring, ein Symbol. Ich trage ihn für mich.

Die literarischen Wurzeln: Woher kommt der Ring der O?

Der „Ring der O“ ist kein beliebiges Schmuckstück. Seine Geschichte beginnt mit einem der provokantesten erotischen Werke des 20. Jahrhunderts: dem Roman „Die Geschichte der O“ von Pauline Réage, erschienen 1954. Der Roman erzählt von O, einer Frau, die sich freiwillig in eine Welt der totalen Unterwerfung begibt – eine Fantasie, die damals wie heute polarisiert. Innerhalb dieser Geschichte spielt der Ring eine zentrale Rolle: Er wird der Protagonistin als Erkennungszeichen gegeben, ein Symbol für ihre Zugehörigkeit, ihre Hingabe, ihre Verfügbarkeit.

Was mich dabei bis heute fasziniert: Der Roman wurde anonym veröffentlicht. Erst Jahrzehnte später wurde bekannt, dass es sich bei Pauline Réage um die französische Schriftstellerin Anne Desclos handelte – eine Frau, die sich mit der Figur der O nicht identifizierte, aber eine sehr bewusste literarische Konstruktion erschaffen wollte. Die Geschichte ist also nicht autobiografisch – aber sie ist ein bewusstes Spiel mit gesellschaftlichen Vorstellungen von Macht, Begehren und Freiheit.

In BDSM-Kreisen wurde der Ring der O seither aufgegriffen und weiterentwickelt. Aus einem fiktiven Zeichen wurde ein reales Symbol, das auf den ersten Blick vielleicht nur ein schlichter Ring ist – aber in seiner Tiefe für viele von uns eine Welt öffnet.

Von der Literatur in die Realität: Die heutige Bedeutung des Rings

Die BDSM-Community hat im Laufe der Jahrzehnte viele literarische und kulturelle Motive adaptiert – aber dabei auch transformiert. Aus der Idee totaler Unterwerfung, wie sie im Roman oft idealisiert dargestellt wird, ist in der realen Szene ein differenzierter Begriff von Hingabe und Selbstbestimmung entstanden.

Der „Ring der O“ hat in dieser Entwicklung eine besondere Rolle eingenommen. Heute trägt ihn niemand mehr, um sich automatisch zur Verfügung zu stellen. Ganz im Gegenteil: Der Ring ist ein Statement – ein bewusst gewähltes, oft selbst erworbenes Zeichen für Zugehörigkeit, für Orientierung, für einen Lebensstil, der auf Konsens, Respekt und Klarheit basiert. Er steht für Beziehungen, in denen Macht geteilt und freiwillig strukturiert wird – nicht für Machtmissbrauch oder Automatismen.

Für mich bedeutet das: Der Ring der O steht für meine Fähigkeit, bewusst „Ja“ zu sagen. Zu einer Rolle. Zu einem Menschen. Zu mir selbst.

Mein Weg zu diesem Ring

Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich mir meinen ersten Ring der O gekauft habe. Es war kein feierlicher Akt, keine Zeremonie. Ich war allein. Ich war unsicher. Und doch war dieser Moment zutiefst bedeutungsvoll. Ich wählte nicht nur ein Schmuckstück aus – ich wählte ein Symbol. Für mich. Für meinen Weg.

Niemand hat mir den Ring überreicht. Niemand hat mich dazu überredet. Es war meine Entscheidung. Und das macht ihn für mich so stark. Ich trage ihn nicht, weil ich muss. Ich trage ihn, weil ich will.

In BDSM-Kreisen wird manchmal erwartet, dass der Ring von einer dominanten Person übergeben wird – als Zeichen der Bindung, als Ausdruck einer Beziehung. Und ja, auch das kann kraftvoll und wunderschön sein. Aber für mich beginnt Hingabe nicht bei jemand anderem. Sie beginnt bei mir. Sie beginnt da, wo ich bereit bin, Verantwortung für meine Wünsche und meine Grenzen zu übernehmen – unabhängig davon, ob ich mich gerade in einer aktiven D/s-Dynamik befinde oder nicht.

Zwischen Intimität und Öffentlichkeit: Der Ring im Alltag

Der Ring der O begleitet mich täglich. Ich trage ihn im Beruf, bei Freundschaftstreffen, auf Dates, bei BDSM-Events – und manchmal auch ganz für mich allein, zu Hause auf dem Sofa, in Momenten der Einkehr. Was ich daran liebe: Er ist gleichzeitig sichtbar und unsichtbar.

Für die meisten Menschen ist er einfach ein schöner Ring. Vielleicht mit einem etwas ungewöhnlichen Design, aber kaum jemand spricht mich darauf an. Und doch kommt es immer wieder vor, dass mir ein wissender Blick begegnet. Ein kurzes Innehalten, ein Lächeln, manchmal eine vorsichtige Frage: „Ist das … der Ring der O?“ In solchen Momenten spüre ich, dass eine stille Verbindung entsteht – zwischen zwei Menschen, die eine gemeinsame Sprache sprechen, ohne dass Worte nötig sind.

Aber ich trage den Ring nicht, um gesehen zu werden. Ich trage ihn, weil ich mich sehen will. In meiner Wahrheit. In meiner Vielschichtigkeit. In meiner Identität als Sub, als Frau, als trans Mensch, als sinnliches und bewusst lebendes Wesen.


Der Ring der O und meine Identität als trans Frau

Wenn ich heute auf meine Hand blicke und den Ring der O sehe, dann sehe ich mehr als eine Szene-Zugehörigkeit. Ich sehe einen Teil meiner Geschichte. Einen stillen, aber kraftvollen Beweis dafür, dass ich mich selbst definiere – jenseits von Rollenklischees, Erwartungen oder gesellschaftlicher Lesbarkeit.

Als trans Frau bewege ich mich in einem Spannungsfeld, das viele nicht sehen – oder nicht sehen wollen. Es reicht oft nicht, zu sagen: „Ich bin eine Frau.“ Ich werde befragt, geprüft, hinterfragt. Mein Körper, mein Ausdruck, meine Stimme, mein Verhalten – alles wird still oder laut bewertet. Ob ich den Erwartungen an „Weiblichkeit“ entspreche. Ob ich „überzeugend“ genug bin. Ob ich „wirklich“ trans bin oder „nur eine Phase durchmache“.

Und gerade in dieser ständigen Konfrontation mit fremden Maßstäben ist der Ring für mich ein Anker geworden. Ein klares, ruhiges „Ja“ zu mir selbst.

Der Ring widerspricht den stereotypen Bildern von Weiblichkeit, wie sie oft medial gezeichnet werden – glatt, angepasst, freundlich, passiv. Er sagt nicht: „Ich bin brav.“ Er sagt: „Ich bin ganz.“
Er sagt: „Ich kenne meine dunklen, meine leuchtenden, meine schmerzhaften und meine lustvollen Seiten – und ich stehe zu ihnen.“

Warum „Passing“ nicht alles ist

In trans Kontexten wird oft über „Passing“ gesprochen – darüber, wie gut eine trans Person in der Öffentlichkeit im gewünschten Geschlecht wahrgenommen wird. Für viele ist Passing nicht nur eine Frage der Identität, sondern auch der Sicherheit. Wer „durchgeht“, also nicht auffällt, hat es oft leichter im Alltag. Weniger Anfeindung. Weniger Gefahr.

Ich verstehe das. Und ja, auch ich habe Phasen gehabt, in denen ich Passing angestrebt habe – aus Selbstschutz, aus Angst, aus dem Wunsch nach Anerkennung.

Aber: Der Ring der O hat mir geholfen, mich davon zu lösen. Er erinnert mich täglich daran, dass meine Weiblichkeit nicht in der Bestätigung von außen liegt. Sie liegt in meinem Erleben, in meinem Fühlen, in meinem Sein.
Ich bin eine Frau – mit oder ohne Passing. Ich bin eine Sub – mit oder ohne aktive Dynamik. Ich bin echt – auch wenn das nicht jedem gefällt.

Diese Klarheit hat mir der Ring geschenkt. Nicht als Dogma, sondern als stilles Zeichen. Ein Kreis, ohne Anfang, ohne Ende – wie mein Weg zu mir selbst.

Missverständnisse, Projektionen und die Kraft des eigenen Rahmens

Natürlich habe ich auch mit Vorurteilen und Projektionen zu kämpfen. Manchmal wird der Ring der O als Einladung verstanden – als Zeichen, dass ich verfügbar bin. Andere sehen ihn als Beweis für psychische Labilität, für „verrückte Neigungen“, für ein „gestörtes Verhältnis zu Sexualität“. Wieder andere reduzieren ihn auf eine BDSM-Spielerei, ohne die emotionale Tiefe zu erfassen, die darin liegen kann.

Besonders als trans Frau bekomme ich hier oft eine doppelte Schicht an Klischees ab: Die hypersexualisierte Transfrau, die „verzweifelt Bestätigung sucht“. Die Sub, die „sich unterwirft, weil sie sich selbst nicht liebt“. Die queere Frau, die „eh immer was Kompliziertes will“.

Nichts davon ist wahr. Und doch begegnen mir diese Bilder immer wieder – subtil, manchmal offen, oft unausgesprochen.

Aber ich habe gelernt, meine eigenen Grenzen klar zu halten. Ich bin nicht verantwortlich für die Fantasien anderer. Ich bin nicht verantwortlich für die Unfähigkeit mancher Menschen, Ambivalenz auszuhalten.
Und der Ring hilft mir dabei. Er ist kein Freifahrtschein für Übergriffigkeit – er ist ein Symbol meiner Freiheit, „Nein“ zu sagen. Oder „Ja“. Aber immer in meinem Tempo, mit meiner Stimme, in meinem Rahmen.

Hingabe ist kein Widerspruch zu Stärke

Es gibt einen Satz, der mich oft begleitet: „Ich bin nicht schwach, weil ich mich hingebe. Ich bin stark, weil ich es bewusst tue.“

Viele Menschen – gerade außerhalb der BDSM-Welt – verstehen Submissivität als Schwäche. Als Mangel. Als Fehlen von Selbstwert. Dabei ist das Gegenteil oft der Fall. Die Fähigkeit, sich hinzugeben, verlangt Mut. Vertrauen. Kommunikation. Grenzen setzen. Offenheit.

Hingabe ist nicht das Aufgeben von Kontrolle – sie ist das aktive Übergeben. Im Vertrauen darauf, dass meine Würde geachtet wird. Dass mein „Stopp“ zählt. Dass mein Körper gehört wird.

Diese Haltung ist zutiefst feministisch. Und zutiefst menschlich.

Der Ring der O ist für mich das Symbol genau dieses Bewusstseins: Ich bin nicht klein. Ich bin nicht abhängig. Ich bin frei – und wähle bewusst, wann und wie ich mich binde.


Warum ich stolz bin, ihn zu tragen

Der Ring der O ist für mich nicht nur ein Statement. Er ist ein täglicher Begleiter, ein stiller Spiegel meiner inneren Haltung. Er erinnert mich daran, wie weit ich gekommen bin – in meinem Frausein, in meiner Sexualität, in meinem Selbstverständnis.

Ich bin stolz darauf, diesen Ring zu tragen. Stolz auf meine Entscheidung, mich nicht zu verstecken. Auf meine Fähigkeit, zärtlich und verletzlich zu sein – ohne die Kontrolle zu verlieren. Auf meine Sehnsucht nach Tiefe, nach echter Verbindung, nach einer Sexualität, die nicht im Konsum erstickt, sondern im gegenseitigen Vertrauen gedeiht.

Der Ring ist kein Schmuckstück, das ich einfach ablege. Er gehört zu mir, wie meine Geschichte, meine Stimme, mein Körper. Ich muss niemandem beweisen, was er bedeutet. Aber wenn mich jemand fragt, erzähle ich es gerne – weil es vielleicht auch anderen hilft, den eigenen Weg zu sich selbst zu finden.

Der Ring als Werkzeug der Selbstvergewisserung

Was ich besonders liebe: Der Ring der O verändert seine Bedeutung nicht durch den Blick anderer. Er bleibt bei mir, auch wenn niemand hinschaut. Gerade das macht ihn so kraftvoll. Er hilft mir, meine Wahrheit nicht zu vergessen – selbst dann, wenn der Alltag mich schluckt oder Unsicherheit mich zu überrollen droht.

In einer Gesellschaft, die von Kontrolle, Leistungsdruck und binären Denkmustern geprägt ist, ist Hingabe ein radikaler Akt. Sich selbst zu akzeptieren – in Lust, in Verletzlichkeit, in Submissivität – ist ein revolutionärer Akt.

Und genau deshalb schreibe ich diesen Text. Weil ich glaube, dass wir mehr Symbole brauchen, die nicht normativ sind. Mehr Erzählungen, die nicht glatt sind. Mehr Räume, in denen Ambivalenz und Intimität nebeneinander bestehen dürfen.

Der Ring der O ist für mich so ein Raum geworden. Ein Zeichen, ein Werkzeug, ein Begleiter. Und ich wünsche mir, dass jede*r, der diesen Text liest, einen Moment innehält und sich fragt: Was ist mein Ring? Welches Symbol erinnert mich daran, wer ich wirklich bin?

Ein Leben mit dem „Ring der O“

Ich weiß nicht, wohin mein Weg mich noch führen wird. Ob ich in Zukunft eine neue D/s-Dynamik eingehe. Ob ich eines Tages einen Ring tragen werde, der mir von einer anderen Person überreicht wird. Ob ich den jetzigen Ring irgendwann durch einen anderen ersetze.

Aber eines weiß ich sicher: Der Ring der O wird mich weiter begleiten – in welcher Form auch immer. Denn seine Bedeutung liegt nicht in der Form, sondern in der Entscheidung, die ich mit ihm getroffen habe.

Ich habe mich entschieden, sichtbar zu sein. Ich habe mich entschieden, verletzlich zu sein. Ich habe mich entschieden, stark zu sein – auf meine Weise.

Und ich wünsche mir, dass jede*r, der oder die diesen Text liest, sich in der eigenen Geschichte wiederfindet. Vielleicht nicht im Detail. Aber in der Essenz: Dass wahre Hingabe nicht Schwäche ist – sondern ein Akt der Liebe. Zuerst zu uns selbst. Und dann vielleicht auch zu einem Menschen, der es wirklich verdient.


Glossar

BDSM:
Ein Akronym für Bondage and Discipline, Dominance and Submission, Sadism and Masochism. Es umfasst ein breites Spektrum einvernehmlicher Praktiken, die auf Machtgefälle, Rollenspiel, Lustschmerz und/oder psychologischer Dynamik beruhen. Konsens, Kommunikation und Sicherheit stehen dabei im Mittelpunkt.
Quelle: https://queer-lexikon.net/

D/s:
Kurzform für Dominance/submission. Bezeichnet eine zwischenmenschliche Dynamik, bei der eine Person (der/die Dominante) eine führende Rolle einnimmt, während die andere (die submissive Person) sich dieser Führung freiwillig hingibt. Diese Dynamik kann sexuell sein, muss es aber nicht.
Quelle: https://transinterqueer.org/

Ring der O:
Ein Symbol aus dem Roman „Die Geschichte der O“ von Pauline Réage, das sich als Erkennungszeichen in der BDSM-Community etabliert hat. Es steht für Hingabe, Zugehörigkeit und bewusste Submissivität – jedoch immer auf Basis von Konsens und Selbstbestimmung.

Submissivität / Sub:
Die Bereitschaft, sich in einer Beziehung oder einem Rollenspiel dem Willen einer anderen Person unterzuordnen – freiwillig und auf Augenhöhe. Eine Sub ist dabei die submissive Person, die Führung abgibt, nicht aber Würde oder Grenzen.

Passing:
Bezeichnet das Phänomen, dass eine trans Person in der Öffentlichkeit im gewünschten Geschlecht gelesen wird. Es kann Sicherheit erhöhen, führt aber auch zu normativen Drucksituationen. Wichtig ist: Passing ist keine Voraussetzung für die Echtheit einer Identität.
Quelle: https://transinterqueer.org/

Pauline Réage / Anne Desclos:
Pseudonym der französischen Autorin, die „Die Geschichte der O“ schrieb. Ihr Werk wurde anonym veröffentlicht, um sowohl gesellschaftliche als auch persönliche Konsequenzen zu vermeiden. Erst Jahrzehnte später wurde ihre Identität enthüllt.

Hingabe:
In BDSM-Kontexten bedeutet Hingabe nicht passives Ertragen, sondern aktives Einlassen. Sie ist eine freiwillige Entscheidung, Macht abzugeben – auf Zeit, unter klaren Bedingungen, im gegenseitigen Vertrauen.

Selbstermächtigung:
Ein politischer und persönlicher Begriff, der beschreibt, wie marginalisierte oder unterdrückte Gruppen oder Personen sich Handlungsspielräume zurückholen. In meinem Fall bedeutet es: Ich definiere meine Identität selbst – unabhängig davon, wie andere mich lesen oder bewerten.


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