Als trans Frau neu gesehen: Mein Wiedersehen mit Rüdiger


Trans Frau mit Brille und Ringhalsband steht selbstbewusst in einem warmen Raum – Symbol für Authentizität, Submissivität und neue Begegnungen.

Manchmal schreibt das Leben Geschichten, die kein Drehbuch je so hätte erfinden können. Geschichten voller leiser Wendungen, unerwarteter Verbindungen und solcher Momente, die sich für immer ins Herz brennen. Die Begegnung mit Rüdiger war eine solche Geschichte – oder vielleicht besser gesagt: der Beginn eines neuen Kapitels, das ich nie erwartet hätte.

Kapitel 1: Der Klang vergangener Zeiten

Es war ein ganz gewöhnlicher Abend, als ich die Nachricht erhielt. Ich saß mit einer Tasse Tee auf dem Sofa, müde vom Tag, in Gedanken noch bei einem Text, an dem ich gerade arbeitete. Das Summen meines Smartphones riss mich aus dem Moment. Ein Name erschien auf dem Display, den ich fast vergessen hatte – und der doch sofort eine tiefe Resonanz in mir auslöste: Rüdiger.

Ein Mensch aus meiner Vergangenheit. Aus einer Zeit, die in vielerlei Hinsicht so anders war – und in der ich selbst noch nicht die Frau war, die ich heute bin. Und doch war da sofort dieses warme Gefühl, wie das Echo eines Liedes, das man lange nicht gehört hat und dessen Melodie einem dennoch sofort vertraut ist.

Kapitel 2: Wer wir einmal waren

Rüdiger war in meiner Jugend eine der Personen, mit denen ich eine ganz besondere Verbindung teilte. Wir kannten uns aus einer Theatergruppe, später auch aus einer Schreibwerkstatt. Es war eine Freundschaft voller Leichtigkeit, voller gegenseitigem Respekt und dieser wortlosen Selbstverständlichkeit, die man selten findet.

Damals fühlte ich mich oft verloren in mir selbst – in einem Körper, der sich nicht richtig anfühlte, und in einer Rolle, die ich zu spielen versuchte, ohne je wirklich darin aufzugehen. Rüdiger hat das nie kommentiert. Vielleicht hat er es gespürt. Vielleicht auch nicht. Aber es war nie notwendig, darüber zu sprechen. Er war einfach da. Ohne Forderungen. Ohne Bedingungen.

Als wir uns aus den Augen verloren, war das keine bewusste Entscheidung. Das Leben ging weiter. Neue Wege, neue Städte, neue Rollen. Ich durchlief meine Transition. Ich fand endlich Worte für das, was in mir war. Und ich fand Wege, es zu leben.

Kapitel 3: Der Moment des Wiedersehens

Und dann – viele Jahre später – seine Nachricht. Schlicht. Herzlich. Ohne jede Unsicherheit.

Er hatte mein Profil gefunden, auf einer Plattform, auf der ich offen als trans Frau sichtbar bin. Ich hatte mich lange gefragt, wie jemand aus meiner Vergangenheit reagieren würde, wenn er mich in meiner heutigen Form wiederentdecken würde. Ob er mich erkennen würde. Ob er mich anerkennen würde.

Rüdiger tat beides. Ohne Zögern. Ohne falsche Neugier. Ohne Distanz.

Das war der erste Moment, in dem ich tief durchatmen konnte – nicht vor Erleichterung, sondern vor Anerkennung. Ich fühlte mich gesehen. Nicht analysiert. Nicht in Schubladen sortiert. Sondern einfach erkannt. Als die Frau, die ich bin.

Kapitel 4: Wenn Worte Brücken bauen

Wir beschlossen, uns zu treffen. Ganz ohne Erwartung. Ohne Vergangenheit zu verklären oder Zukunft zu planen. Einfach nur, um zu sehen, was passiert, wenn sich zwei Menschen nach langer Zeit wieder begegnen – und dabei bereit sind, sich einander neu zu öffnen.

Das Wiedersehen war ruhig. Intensiv. Es war, als würde ein innerer Vorhang zur Seite gezogen, und dahinter öffnete sich ein Raum, den wir beide schon kannten, aber lange nicht mehr betreten hatten. Wir sprachen viel – über unsere Lebenswege, über Brüche, über Wendepunkte. Über das, was uns verändert hat. Und über das, was uns geblieben ist.

Ich erzählte ihm von meiner Transition. Von den Momenten der Angst. Von der Einsamkeit. Aber auch von der Kraft, die ich dabei entdeckt habe. Von der Freiheit, die darin liegt, endlich in sich selbst anzukommen.

Rüdiger hörte zu. Wirklich zu. Nicht nur, um zu antworten – sondern um zu verstehen.


Kapitel 5: Nähe ohne Maske – und was sie in mir auslöste

Was mich an unserem Gespräch mit Rüdiger am meisten berührte, war nicht nur, dass er mich akzeptierte. Es war die Art, wie er es tat – unaufgeregt, klar und ohne dass er je versuchte, mich zu „verstehen“, um sich selbst zu beruhigen. Er wollte mich verstehen, um mir zu begegnen. Und das ist ein Unterschied, der Welten bedeutet.

So oft hatte ich erlebt, dass Menschen mir begegneten mit einem Fragezeichen im Blick. Dass sie mich, meine Geschichte, meine Identität irgendwie „einordnen“ wollten. Als wäre ich ein Puzzle, das erst dann vollständig sei, wenn sie mir ein Etikett aufkleben könnten.

Mit Rüdiger war das anders. Da war kein Etikett. Kein Bedürfnis, mich zu „erklären“. Nur ein Mensch, der einen anderen Menschen treffen wollte – mit allem, was dazugehört.

Ich glaube, das ist es, was mich so tief bewegt hat: diese Begegnung war frei. Und genau dadurch konnte ich mich öffnen. Konnte erzählen, ohne mich zu rechtfertigen. Konnte schweigen, ohne mich zu verstecken.

Kapitel 6: Submissivität als bewusster Weg

Im Laufe unseres Abends kamen wir auch auf ein Thema zu sprechen, das für viele immer noch ein Tabu ist – zumindest außerhalb queerer oder kinkbewusster Räume: meine Rolle als submissive Frau im BDSM-Kontext.

Für mich ist Submissivität nichts Schwaches. Im Gegenteil. Sie ist Ausdruck von Mut, von Vertrauen, von Klarheit über mich selbst.

Submissivität heißt für mich nicht, mich aufzugeben. Sondern mich bewusst hinzugeben. Mich jemandem anzuvertrauen – mit meinem Körper, meinem Gefühl, meiner Offenheit – ist eine Entscheidung, die ich nur dann treffe, wenn ich mich sicher, getragen und anerkannt fühle. Sie ist ein Geschenk. Kein Anspruch, kein Automatismus.

Ich erklärte Rüdiger, dass BDSM für mich ein Raum ist, in dem ich mich emotional und körperlich entfalten kann. Ein Raum, in dem ich – jenseits gesellschaftlicher Rollenerwartungen – meine tiefsten Bedürfnisse leben darf. Nicht in Form eines Machtspiels, sondern als Begegnung auf Augenhöhe. Paradox, ich weiß – und doch so wahr: wahre Hingabe braucht wahre Gleichwertigkeit.

Und wieder war er da. Hörte zu. Fragte nach – nicht, weil er fasziniert war, sondern weil er verstehen wollte. Es war kein „Kink-Talk“, kein Voyeurismus, keine billige Neugier. Sondern echtes Interesse. Achtsam. Unverstellt. Und ja – liebevoll.

Kapitel 7: Was Begegnung wirklich bedeuten kann

In dieser Nacht, als ich nach unserem Treffen nach Hause kam, saß ich lange wach. Und ich spürte, wie etwas in mir ruhiger wurde. Nicht weil sich alles geklärt hatte. Sondern weil ich spürte, dass ich mich in meiner Ganzheit zeigen konnte – und dass das genügte.

Ich glaube, wir unterschätzen oft, was es bedeutet, gesehen zu werden. Nicht nur mit den Augen, sondern mit dem Herzen. Und das ist es, was mir Rüdiger geschenkt hat: einen Moment echter Resonanz. Ein Spiegelbild, das nicht an der Oberfläche bleibt.

Es war, als hätte ich eine Antwort bekommen auf eine Frage, die ich nie laut gestellt hatte: „Kann jemand, der mich aus einem anderen Leben kennt, mir heute noch begegnen – und zwar ohne mich mit meiner Vergangenheit zu verwechseln?“

Die Antwort war: Ja.

Kapitel 8: Zwischen Gestern und Morgen

Seit diesem Abend ist Zeit vergangen. Wir haben uns wieder getroffen. Haben geschrieben, telefoniert, gelacht. Haben uns gestritten über Bücher, über Weltanschauungen, über Politik. Und das ist gut so. Es bedeutet, dass da etwas lebt.

Ich weiß noch nicht, was daraus entsteht. Vielleicht ist es Freundschaft. Vielleicht etwas Tieferes. Vielleicht nur ein Kapitel, das geschrieben werden wollte. Aber was ich weiß, ist dies:

Diese Begegnung hat mir gezeigt, dass mein Weg nicht nur mich verändert hat – sondern auch die Art, wie ich Beziehungen erlebe. Ich bin wählerischer geworden. Achtsamer. Ich weiß, was ich brauche, und was ich nicht mehr akzeptiere. Und ich bin mutiger darin, mich zu zeigen – mit allem, was ich bin.


Kapitel 9: Was mir diese Begegnung über mich selbst gezeigt hat

Rüdiger hat mir kein neues Leben geschenkt. Aber er hat mir einen Moment geschenkt, der mein Leben neu beleuchtet hat. Und das ist manchmal mehr als genug.

Ich habe in dieser Begegnung gespürt, wie sehr mein Weg mich geprägt hat – nicht nur im Außen, sondern im Inneren. Wie sehr ich gelernt habe, mich nicht länger anzupassen, nur um nicht anzuecken. Und wie schön es sein kann, wenn Menschen mir nicht nur zuhören, sondern mich hören.

Er hat mir gezeigt, dass Authentizität nicht trennt, sondern verbindet, wenn wir bereit sind, einander wirklich zu sehen. Dass es nicht darauf ankommt, ob wir einander immer verstehen – sondern ob wir einander begegnen wollen.

Und er hat mir auch gezeigt, dass Vergangenheit und Zukunft nicht zwei getrennte Linien sind – sondern sich oft an einem Punkt berühren, den wir selbst erst erkennen, wenn wir bereit sind, innezuhalten.

Kapitel 10: Begegnung als Brücke zwischen gestern und morgen

Ich schreibe diese Zeilen mit einem tiefen Gefühl von Dankbarkeit. Nicht, weil ich alles verstehe, was geschehen ist. Sondern weil ich spüre, dass es Bedeutung hat. Dass diese Begegnung nicht zufällig war. Und dass sie mich daran erinnert, was für mich zählt:

  • Echtheit vor Perfektion.

  • Tiefe vor Fassade.

  • Begegnung vor Urteil.

Vielleicht erkennst Du Dich in manchen dieser Gedanken wieder. Vielleicht erinnerst Du Dich gerade selbst an jemanden, der einmal eine wichtige Rolle in Deinem Leben spielte – und fragst Dich, was aus dieser Verbindung geworden ist. Vielleicht fragst Du Dich sogar, ob es sich lohnt, wieder Kontakt aufzunehmen. Oder ob Du selbst bereit bist, jemandem in Deinem Leben neu zu begegnen.

Dann sage ich: Es lohnt sich. Nicht, weil alles heil wird. Sondern weil Begegnung heilend sein kann – wenn sie echt ist.


✨ Schlussgedanke

Was bleibt, ist ein Gefühl. Ein Bild. Zwei Menschen, die sich nach vielen Jahren wieder gegenüber sitzen – nicht mehr die, die sie einmal waren, aber mit der Bereitschaft, einander neu zu sehen.

Und vielleicht ist das das größte Geschenk, das wir uns und anderen machen können: den Mut, hinzusehen – und das Herz offen zu lassen.

Danke, dass Du mich auf dieser Reise begleitet hast.
Vielleicht erinnerst Du Dich durch meine Geschichte daran, dass es nie zu spät ist, Brücken zu bauen – zurück und nach vorn.


📘 Glossar

Trans Frau
Eine trans Frau ist eine Person, der bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde, die sich jedoch als Frau identifiziert. Der Weg zur Sichtbarkeit als trans Frau kann medizinische, soziale und rechtliche Schritte umfassen – muss aber nicht. Mehr dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/Transfrau

Transition
Transition bezeichnet die Phase der geschlechtlichen Angleichung – körperlich, sozial und/oder juristisch. Sie ist ein individueller Prozess und kein festgelegtes Schema. Wichtig ist dabei das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person. Eine gute Einführung findest Du hier: https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/lexikon-der-vielfalt/202476/transition/

Submissivität (im BDSM)
Submissivität beschreibt die freiwillige Entscheidung, sich einer anderen Person in einem klar definierten Rahmen unterzuordnen. Im BDSM-Kontext geschieht das einvernehmlich, achtsam und oft sehr ritualisiert. Submissive Personen zeigen damit nicht Schwäche, sondern bewusste Hingabe. Weitere Infos unter: https://www.lovemag.de/bdsm-submissiv/

BDSM
BDSM steht für „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“. Es handelt sich um einvernehmliche sexuelle oder emotionale Praktiken, in denen Macht, Kontrolle, Hingabe und körperliche Intensität auf spielerische und bewusste Weise inszeniert werden. Mehr dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/BDSM

Authentizität
Authentizität bedeutet, im Einklang mit den eigenen Werten und Gefühlen zu leben – unabhängig davon, wie andere Menschen es erwarten würden. Im Kontext von Identität, queerer Sichtbarkeit oder BDSM-Beziehungen ist sie ein zentrales Thema. Empfehlenswerte Lektüre: https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/05/authentizitaet-persoenlichkeit-verstellung-soziales-verhalten

Respektvolle Kommunikation
In Kontexten mit emotionaler Nähe, Sexualität oder queerer Identität ist respektvolle Sprache besonders wichtig. Es geht darum, Fragen zu stellen, ohne Grenzen zu überschreiten, und zuzuhören, ohne zu bewerten. Ein Überblick zur Gewaltfreien Kommunikation: https://www.gewaltfrei.de


Entdecke mehr von „Sarahs Welt der Begegnungen“

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.